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schirmen und im Innern das Bekenntniss des wahren Glaubens zu stärken: Gott hatte ihn hierfür mit beiden Schwertern gerüstet[1].

Karl wollte Kaiser werden. Er, der ein Menschenalter lang wie ein Herr der Weltgeschicke gewaltet hatte, stand hier vor einer Aufgabe, deren Lösung er nicht fand, zu der ihm die Initiative fehlte. Wohl beherrschte er ein Reich, welches mächtiger zu sein und zu bleiben schien als das der Griechen; er besass auch Rom, die Heimath des Imperiums; er handelte für den Glauben, wie ein Kaiser handeln sollte; zu dem Papste, dem Haupte der Kirche, stand er in engeren und vielseitigeren Beziehungen als der Imperator in Byzanz, und jetzt am Ausgang des 8. Jahrhunderts regierte dort ein Weib, das weder nach Römischem noch nach kanonischem Recht regieren sollte, das Reich und die Kirche. Allein alle diese Thatsachen gaben Karl kein Recht, sich selbst zu krönen[2], um Rechtsnachfolger des Römischen Kaisers zu werden; mit den eigenen Mitteln, mit Reichstag und Volksversammlung, konnte er über die Würde eines fremden Staates nicht verfügen, und ohne Rechtscontinuität mit dem alten Weltstaat wäre sein Kaiserthum nicht das gottgeweihte heilige Reich gewesen: sein Reich musste das alte, nicht ein neues sein.

Eine Partei trat eigenmächtig für das Kaisertum ein und hat ohne Karl’s Einwilligung die Entscheidung gebracht. Als der König am Weihnachtstage des Jahres 800, an dem Tage, mit welchem ein neues Jahrhundert begann, in der Peterskirche betete, krönte der Papst ihn zum Kaiser und die Anwesenden riefen ihn zum Imperator aus[3]. So wurde er überrascht und er duldete die Ueberraschung: er nahm das Imperium an.

Die Theilnehmer hatten nicht aus Herrschsucht gehandelt, sie wollten für die Christenheit eine bessere Ordnung herstellen, nachdem sie die kaiserliche Regierung in Byzanz aufgegeben hatten und doch ohne das Römische Reich nicht glaubten leben zu können; allein dennoch war es eine Revolution der alten Hauptstadt gegen den eigenen Staat, bei welcher Niemand ein Recht ausübte, weder der Papst noch das Volk. Leo III. war bei der Vertheilung der Rollen diejenige Function zugefallen,

  1. Worte Alcuin’s, Epist. 111.
  2. S. Weyl (S. 317) S. 24. 32.
  3. Der Hergang war so genau verabredet, dass die zu rufenden Worte aus den bisher gebräuchlichen Titeln des Imperators zusammengestellt waren, siehe Mühlbacher, Regesten der Karolinger I S. 776.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br. und Leipzig: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1896, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_004.jpg&oldid=- (Version vom 18.5.2023)