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glaubte man, Karl wolle sich zum einzigen Imperator machen[1], gab es doch nur ein Römisches Reich und dieses eine Reich war untheilbar wie die Christenheit, für die es bestimmt war. Karl, der an der Fortdauer des Römischen Reiches in Byzanz nicht zweifelte, aber auch ein doppeltes Römisches Reich für widersinnig hielt, meinte der Verlegenheit zu entgehen, wenn er eine gewisse Reichseinheit dadurch schaffe, dass er sich mit der Genossin des Imperiums verheirathe – zufällig war er Wittwer und Irene Wittwe –; das so geeinte Reich hätte er seinen Nachkommen hinterlassen[2]. Nachdem dieser Plan mit dem Sturze der Kaiserin bereits 802 vereitelt war, begann er Unterhandlungen mit Byzanz, um durch eine Anerkennung seiner kaiserlichen Gewalt die Rechtmässigkeit seines Imperiums zu begründen. Bis die Byzantinische Regierung im Jahre 812 seine Kaiserwürde zugestand, ohne auf die eigene zu verzichten, hatten sich die Zeitgenossen an das Unabänderliche gewöhnt, an zwei Römische Reiche neben einander, das eine im Osten und das andere im Westen, an zwei Kaiser mit denselben Namen und denselben Zwecken für die ganze Christenheit, von denen doch jetzt keiner mehr das Christenvolk in seinem Weltstaat vereinigen konnte[3]. Der innere Widerspruch wurde erträglich, weil die Einheit der christlichen Welt zerfiel, das Abendland für sich lebte und der Funke Hellenischen Geistes, der es einst erhellt hatte, erlosch.

  1. Einhard, Vita Caroli c. 16. Dass Karl alleiniger Imperator werden sollte, nehmen an Döllinger, Münchner Jahrb. 1865 S. 352 f. 356. Pichler, Geschichte der kirchlichen Trennung zwischen Orient und Occident I, 150 f. Dümmler, Karl, Allgemeine Deutsche Biographie XV, 140. Gasquet (oben S. 344) S. IX. 280 f. 284. Gegen diese Auffassung z. B. Waitz III, 199. Mühlbacher a. a. O. I, XLIV. Dahn, Deutsche Geschichte II, 359. Karl’s Verhalten widerlegt zwar nicht die Ansicht, dass im Anfang seines Imperiums jene erste Auffassung vorhanden war, aber Karl’s Meinung war eine andere, und das war entscheidend.
  2. Theophanes I, 475. 478 de Boor. Cedrenus II S. 28. Harnack, Die Beziehungen des Fränkisch-Italischen zu dem Byzantinischen Reiche 1880 S. 42 f.
  3. Den Gedanken eines solchen zweifachen Reiches der Römer brachte Karl in seinem Schreiben an Michael 813 zum Ausdruck, Jaffé IV, 415, vgl. Karl an Nicephorus das. IV, 395. Die Occidentalen bezeichneten das östliche Reich seitdem oft als das Reich der Griechen, so z. B. die Päpste 825, 862, 874, Migne 98, 1339. 119, 783. Neues Archiv für Geschichtskunde V, 307. Nicolaus ertheilte 865 dem Kaiser in Byzanz sogar den Rath, sich nicht mehr Kaiser der Römer zu nennen, Migne 119, 932. Aber
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Verschiedene: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. Freiburg i. Br. und Leizig: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr, 1896, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_DZfG_1895_12_006.jpg&oldid=- (Version vom 19.5.2023)