Seite:De Die demolirte Literatur Kraus 04.jpg

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verlegen wäre. Ein jeder, der das Buch eines tadelnswerthen Autors zu besprechen hat, weiss, dass man diesem nicht ein gewisses Können, sondern „immerhin eine gewisse Macht“ zusprechen kann.

Hier eine der Wirklichkeit nahekommende Stilprobe aus der Zeit, da die französirende Art des Meisters noch nicht mit Goetheischen Sprachelementen durchsetzt war. Ueber das Werk eines Griensteidl-Gastes und seine Aufführung im „Deutschen Volkstheater“ mag er sich etwa geäussert haben:

„Es ist, je öfter man in dieses „Deutsche Volkstheater“ mit den Anführungszeichen um jeden Preis hineingeht, ein gewaltsamer Aerger, über die Darstellung, über diesen Herrn Kadelburg mit der Eleganz vom Tapezierer und über dieses Publicum mit den Ansichten vom Wurstlprater. Man kennt den Schnitzler. Ich habe, wie ich neulich die Dränge des jüngsten Oesterreich zeigte, die besondere Art des Schnitzler gelehrt. Es passt das herbe Wort des heimlichen und geflissentlich komischen Julius Bauer, dort, wo er eigentlich schon mehr Isidor Fuchs heisst: „Ein kleiner Beamter hat nichts, aber das hat er sicher.“ Er will den Viveur, aber mit der wienerischen Note, nicht in der Technik der Franzosen, wie ihn etwa Pierre Blanchard gezeichnet haben würde oder ein anderer französischer Eigenname, den nur ich kenne, wenn ich von Ferry Beraton absehen will, der ihn dann aber auch von mir hat, auch nicht in der Art dieses Herrn Fulda, der die letzten Wünsche des Banquiers aus der Rauch- und Thiergartenstrasse in jenen schleimigen und schnodderigen Weisen des Schunkelwalzers ablauschte.

Es ist die Kunst der Nerven, von den Nerven auf die Nerven, und man muss dabei an Berti Goldschmidt denken und an die psychologie blasée der Stendhal und Huysmans, von den Goncourt’s über Lavedan bis zu Loris und Maurice Barrès und nach Portoriche, die mit der feinen Nase für den Geruch der Dinge, die wie ein letzter Rest von Champagner ist und sich wie die zähe Schmeichelei verblasster alter Seide fühlt, aber immer ein bischen in dem lieben, traulichen Wienerisch des Canaletto. Er gibt müde Stimmungen, die um die Kunst der Watteau und Fragonard sind, mit der weichen Grazie der Formen und mit den halben, heimlichen Contouren, die sich nur noch nicht recht trauen. Aber es gährt noch. Seine Kunst sucht Harmonie. Ein Rest bleibt. Das sind die kurzen Sätze. Ich kann nichts dafür.

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: Wiener Rundschau, 1897, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_04.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)