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seine Hemden verblüffen, und da er sehr productiv ist, lässt er exotische Muster in rascher Abwechslung aufeinander folgen. Stets auf Schönheit und möglichste Exactheit einer jeden Pose bedacht, versteht er Alles um sich herum zu geschmackvoller Wirkung zu vereinigen, indem er beispielsweise nur mit solchen jungen Leuten verkehrt, deren Anzug zu dem jeweiligen seinen passt, und er geht dann in der so hergestellten Harmonie der Freundschaft seelisch ganz auf. Ein gut gelegter Faltenwurf ist ihm Erlebniss, und wenn er spricht, wendet er peinliche Sorgfalt daran, seine Oberlippe decorativ zu verwerthen. So drapirt er sich selbst sein Milieu und tapeziert sich gemächlich sein Leben aus.

In seinem Kreise hat er einen sehr heiklen Dienst zu versehen. Seine Aufgabe ist es, den Toilettezustand jedes ankommenden Literaten zu visitiren und allfällige Correcturen vorzunehmen. Das gelingt unserem Dichter oft mit ein paar charakteristischen Strichen. Hier ist er gerade damit beschäftigt, selbst die letzte Hand anzulegen, dort ertheilt er zweckmässige Weisungen, gibt einschlägige Winke und praktische Rathschläge; hier ergänzt er die fragmentarische Schönheit einer Bicycledress, dort spricht er durch einen vorwurfsvollen Blick die Unmöglichkeit eines ganzen Hosenstoffes aus. Sein prägnanter Tadel: „Das wird sich nicht halten.“ oder: „Das tragt man nicht mehr.“ oder „Mit Ihnen kann man nicht gehen.“; sein bündiges Lob: „Das kann so bleiben.“ Und man mag sich diese Kritik ruhig gefallen lassen, da unser Dichter selbst der Natur gegenüber mit ähnlichen Bemerkungen nicht zurückhaltend ist, indem er sich beim Anblick einer Landschaft schon wiederholt geäussert haben soll: „Das müsste etwas stylisirt werden!“ und nur selten das Lob spendet: „Das kann so bleiben.“

Dieser Dichter nun geht in seinen Bestrebungen so weit, dass er von der eigenen Umgebung nicht mehr verstanden wird. Dem Gedankenfluge seiner polychromen Gilets vermögen die Kleinen mit ihren unbedeutenden Hemden nicht zu folgen. So hat er das Leid des einsamen Menschen zu tragen, und es erfüllt mit ehrfurchtsvollem Schauer, wenn man den von seiner Zeit nicht erfassten Geist in seiner Zurückgezogenheit belauscht Von Allen weiss er sich am längsten mit sich selbst zu beschäftigen, auf sich zu concentriren. Ferne dem lärmenden Treiben, sitzt er stundenlang vor dem Spiegel: – enfin seul mit seiner Cravatte! – Aber

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: Wiener Rundschau, 1897, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_11.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)