Seite:De Die demolirte Literatur Kraus 36.jpg

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Im journalistischen Dienste hart mitgenommen, hat sich der Literat bis heute doch seine Eigenart zu wahren gewusst. Die Verwechslung des Dativs mit dem Accusativ gelingt ihm noch immer mit unverminderter Jugendfrische. Anfänglich hatte er wohl mit dem Widerstand der Setzer zu kämpfen, die bekanntlich immer klüger sein wollen als der Schriftsteller und gerne corrigiren, weil sie für undeutsch ansehen, was individuellster Ausdruck einer künstlerischen Persönlichkeit ist. Aber bald lernten sie die Eigenart unseres Autors respectiren, und sein Talent setzte sich durch. Ungehindert konnte er sich nun ausleben, und man erkannte ihn auch in nicht unterzeichneten Artikeln. Wenn er z. B. bei einer alternden Schauspielerin den „heissen Athem“ vermisste, „der Einem nur aus kindlichem Mädchenbusen anweht“, so wäre es ein Uebriges gewesen, hier auch noch seine Chiffre hinzuzufügen. Selbstverständlich begegnet er die Leute, aber auch diesen Accusativ weiss er wieder zu verwechseln und gelangt zu einem ganz unerwarteten Resultate, wenn er schliesslich von Leuten spricht, die Einem begegnen, und so durch ein Versehen das Richtige findet. Anlässlich des Sonnenthal-Jubiläums im Vorjahre hat er, der Bedeutung des Gefeierten entsprechend, mehrere falsche Casusse gebracht. Er erzählte damals, die „vierzig Jahre, die der Künstler dem Burgtheater treulich gedient“, hätten „ihm zum Repräsentanten dieser geliebten Bühne gemacht“, man habe Sonnenthal „zu verstehen geben wollen, dass man ihm noch immer gerne in seinen jugendlichen Rollen zu sehen wünsche“, – woran er die allgemeine Bemerkung knüpfte, der Schauspieler müsse seine Rolle leben, er müsse „in sie aufgehen“. Wo es die Besprechung von dramatischen Anfängern galt, zeigte er sich stets nachsichtig; ein Tadel, erklärte er vornehm, würde „Einem nur au niveau mit dem Dilettanten setzen“. Als die Zeitung, bei der er thätig ist, einst die telegraphische Nachricht brachte, die „serbisch-montenegrinische Verbindung mitsammt des daranhängenden Heirathsgedankens“ stehe in Frage, liess man sich damals vielfach zu der Meinung verleiten, dass er auch die Depeschen einrichte, was einer entschiedenen Ueberschätzung seines Wirkungskreises gleichkam, da das Ressort unseres Freundes ausschliesslich die Verwechslung des Dativs mit dem Accusativ, nie mit dem Genitiv, und auch diese nur im Theater- und Kunsttheile, umfasst.

Kein Mensch wird ernstlich behaupten, dass solche und ähnliche grammatikalische Eigenheiten Einem in der literarischen Carrière

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Karl Kraus: Die demolirte Literatur. Wien: A. Bauer, 1899, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_demolirte_Literatur_Kraus_36.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)