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auf die weiße Capelle und in die Fensterchen der hölzernen Hütten fiel die Morgensonne und darüber stieg der blaue reine Himmel auf. Wie wir da aus der schattigen Schlucht, die noch kein Strahl erreicht hatte, hinauf blickten in jene erleuchtete Höhe, so wollte es uns bedünken als läge dort unser wahrer Weg der allein ans Ziel führe. Diese Ahnung hätte uns freilich nur betrogen, denn als wir noch auf gut Glück den rauhen Pfad im Thale etwas weiter verfolgten, sahen wir bald das ersehnte Kirchlein von Heiligkreuz vor uns, wie es sich dem Bach zur Seite freundlich winkend auf seinem grünen Hügel erhebt.

Als wir auf dem Platze waren, trat der Meßner aus dem Gotteshause und sagte uns grüßend, der Herr sey noch am Messelesen und wir möchten einstweilen auf der Bank vor dem Widdum, der Priesterwohnung ausrasten. Dieß thaten wir auch gehorsam und betrachteten die Gegend, die so schmal und still vor unsern Augen lag. Man hat erst im Jahre 1804 in diesem engen Thalschnitt eine Kirche erbaut, einfach und klein, wie sie für die hundert Aelpler, die unter die Seelsorge gehören, ausreicht. Rund herum ist auch ein kleiner Friedhof. Neben diesem liegt das Häuschen des Caplans, hölzern aber heimlich, mit einigen Blumentöpfen vor den Fenstern. Etwas weiter oben stehen vier oder fünf ärmliche Hütten, die den Hauptstock des Sprengels ausmachen. Etliche Gerstenfeldchen und ein paar Erdäpfelbeeten zeigen ungefähr, was hier noch durch Anbau dem Boden abzugewinnen ist; dagegen bringt er ungezwungen die schönsten Alpenblumen hervor und prangt auch sonst im lebhaftesten Grün. Unten in der Schlucht braust der Bach. Diesseits sind die Höhen nicht weit zu verfolgen, da die niedersten Abdachungen zu nahe liegen und den Blick auffangen; aber jenseits des Baches geht’s von diesem an schräge hinauf über Schrofen und Fichtenwald bis zu den Fernern, die weiß und reinlich auf dem Sattel ruhen. Mancher braune Felsklotz sticht trotzig aus der eisigen Decke, und besonders schön war es anzusehen wie diese stolzen Hörner, von heiterer Sonne beschienen, ihre blauen Schatten über den weißen Schnee hinwarfen. Aus den Fernern lösten sich etliche silberne Wasserfäden

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_232.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)