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als am 26 September 1804 ein kurzgewachsener Jäger aus Passeyer, Namens Joseph Pichler, insgemein Josele geheißen, sich bereit erklärte das Wagstück zu übernehmen. Es wurden ihm zwei Zillerthaler mitgegeben und sie kamen selbdritt, der kleine verwegene Gemsenjäger an der Spitze, am 27 Sept. wirklich auf die höchste Höhe des Ortles, wo sie aber nur vier Minuten aushielten. Tags darauf fanden sie glücklich wieder heim und hatten begreiflicherweise viel zu erzählen von den Schrecknissen, die sie überstanden. Auch war ihr Aussehen ganz darnach um ihre Berichte zu unterstützen. Ungerechnet der erfrorenen Finger und Zehen waren sie mit einer Schneekruste überzogen und der Sprache beraubt, da ein heftiger Wind den losen Schnee gegen sie geblasen hatte. Im darauffolgenden Jahre stieg der kühne Gebhard selbst dreimal auf die Spitze und ließ dabei einmal, um die hartgläubigen Malser zu überzeugen, auf der Kuppe eine mit betheertem Stroh überzogene Stange zur Nachtzeit anzünden, was den bekehrten Zweiflern ein prachtvolles Schauspiel gewährte. Darnach wurde der Berg zum erstenmale wieder 1826 von Geometer Schebelka aus Wien bestiegen und zwar unter großen Beschwerden, die im Tirolerboten selben Jahres beschrieben und mitunter etwas haarsträubend sind. Endlich 1834 warf auch Professor Thurwieser zu Salzburg, der König der rhätischen und norischen Bergsteiger, sein Auge auf ihn und fand sich, wie er im dritten Bändchen der neuen Zeitschrift des Ferdinandeums erzählt, am 10 August zu Churburg ein, wo er Josele, den Passeyrer, der zum erstenmale die Ortlerspitz erklommen, noch am Leben traf. Freilich war der Jäger unterdessen siebenzig Jahre alt geworden, aber noch muthvoll, rüstig und behend. Das lakonische Zwiegespräch, das Professor Thurwieser mit dem verwitterten Gesellen führte, malt recht anschaulich sein absonderliches Wesen. Am 11 August begab sich der gelehrte Bergsteiger mit Josele und dessen Sohne Lex nach Trafoi, ins Posthaus an der neuen Straße. Dort warben sie noch einen dritten Führer und begaben sich auf das Abenteuer. Die erste Nacht blieben sie auf dem Bergl, 6327 Pariser Fuß hoch über dem Meere, im Freien über Nacht.


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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 292. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_292.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)