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Dorfe auf einem waldigen Bühel und kehrt ihm eine stolze Stirnseite zu. Die schöne tiefgelbe Farbe, die sein Gestirn durch das Alter angenommen, die maßlose Dicke seiner Mauern und die romanischen Doppelfenster mit den zierlichen Mittelsäulchen geben ihm ein tiefeindrückliches Ansehen – ja die Doppelfenster, welche, obgleich in Südtirol häufig und sogar jetzt noch in Bauübung, hier mit besondrer Schönheit auftreten, erinnern an die alten Palazzi, die am Canal grande zu Venedig stehen. Das Gebäude sieht so ganz lombardisch aus, was hier in dem abgelegenen stockdeutschen Seitenthal noch mehr auffällt, und mag wohl sehr alt seyn, doch fehlen die Nachrichten über die Zeit der Erbauung, welche wahrscheinlich ein wälscher Meister geleitet. Es ist das eigentliche Sarntheiner Schloß, der Sitz der alten Ritter von Sarnthein, die übrigens nicht die Ahnen der jetzigen zu Bozen seßhaften Grafen dieses Namens sind; die alten Sarentheiner, die zuerst im zwölften Jahrhundert vorkommen, sind 1646 zu Wien ausgestorben. Der berühmteste Sprosse des Gechlechts war Cyprian von Sarenthein, Hofkanzler von Tirol, Kaiser Maxens geheimer Rath, ein nüchterner, unermüdlicher, unbestechlicher, verschlossener Mann, mit den wichtigsten Geschäften betraut und den schwierigsten gewachsen, in den Händeln damaliger Zeit vielfach thätig († 1524). Ein hoher starker Thurm steht in dem Schlosse und wird für eine römische Warte gehalten. Er hat die Aussicht nach Wangen, dem hochgelegenen Dorfe gegenüber von Afing, wo vor langer Zeit die Burg der mächtigen Herren von Wangen stand und man meint, diese Castelle seyen auf gleiche Weise in absichtlich gewählter Schauverbindung gewesen, wie man solche z. B. zwischen Rungelstein und Hohen Eppan oder Jaufenburg und Löwenberg annimmt. Auch in ein Burgverließ und an das darüber befindliche Fallbrett wird man geführt und nicht minder in die Burgcapelle, wo ein schönes altes Schnitzwerk, St. Georg und der Lindwurm und ein noch älteres, aber nicht schönes Crucifix etliche Aufmerksamkeit verdienen.

Obgleich, der Mächtigkeit der Mauern nach zu urtheilen, das Schloß von Anfang an zu einem uneinnehmbaren Trutzhort

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_407.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)