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Tapetenverkleidung bildeten. Im Dörfchen regierte tiefe Stille und wollte uns fast bedünken, als wenn alles fort wäre, um so mehr als wir auch im Wirthshause die Thüre verschlossen fanden. Doch gelang es uns durch die Scheune einzudringen und auf diesem Wege endlich auch die Wirthin zu erschreien, die im Speicher mit ihren Vorräthen beschäftigt war. Sie sprach deutsch, wie es die Grödnerinnen sprechen, d. h. immer mit einem wälschen Rückhalte und mit großem Anstoß am R. Es wurde ihr eröffnet, daß wir geschwind noch grödnerisch zu lernen gedächten ehe wir ins Thal hinunterstiegen und über diese Absicht, so wie über die Eilfertigkeit, mit welcher wir sie betrieben, fing sie herzlich zu lachen an. Wir blieben gleichwohl fest bei unserm Vorsatze und hielten fürs Beste uns zuerst mit ihrer Bibliothek bekannt zu machen. Wir fragten also, ob sie keine grödnerischen Bücher habe, was sie freundlich bejahte. Sie ging darauf an einen hübschen Schrank und holte ein schönes Buch heraus in schwarzen Saffian mit goldenem Schnitt gebunden. Dieß schlugen wir hastig auf, fanden aber nichts anders, als ein italienisches Gebetbuch, gedruckt zu Trient oder Bassano. Ja, habt ihr denn nicht etwa ein grödnerisches Buch, ein Buch in der Sprache von Gröden? Nein, sagte sie, anders kann man unsre Sprache nicht drucken, als so wie da – mit welchen Worten sie eigentlich ganz in ihrem Rechte war. Nachdem also auf diesem Wege nichts zu erreichen, so versuchten wir’s auf mündlichem und baten sie, uns das Vater Unser zu dictiren. Auch dieß that sie mit großer Bereitwilligkeit, aber wir hörten schon an den ersten Worten, daß hier zu Lande das Gebet des Herrn in italienischer Sprache verrichtet werde und ersparten uns die Mühe es nachzuschreiben. Dagegen fragten wir die Frau, ob sie denn nicht auch grödnerisch zu beten wisse, sie aber antwortete, das grödnerische Vater Unser sey längst abgeschafft und nur einige alte Männer führten’s noch im Munde, die andern beten es alle „klugwälsch.“ *)[1]

  1. *) Klugwälsch heißen die Grödner und Enneberger, wenn sie deutsch sprechen, das Italienische. Diesem entgegensetzt ist der deutsche Name für ihre Sprache, die sie sonst ladin nennen – krautwälsch. Das d in ladin klingt übrigens wie ein weiches englisches th oder neugriechisches δ. (WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Fußnote wurde auf dieser Seite vervollständigt.)
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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_424.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)