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ie’l pa da tlo fin a Urteschei. Urteschei (Urticotum) ist nämlich der grödnerische Name von St. Ulrich. Diese Phrase übten wir so lange ein, bis wir sie mit voller Geläufigkeit zu Tage bringen konnten. Wir freuten uns aufrichtig als wir alle Schwierigkeiten überwunden hatten, und nahmen uns auch gleich vor, sie bei erster Gelegenheit zu benützen.

Wir waren also kaum etliche hundert Schritte von Pufels entfernt und hatten eben eine zahlreiche Familie bemerkt, die weit drinnen im Felde mit der Gerstenernte beschäftigt war, als wir beide zu gleicher Zeit über die Stoppeln hinriefen: Dang longsch ie’l pa da tlo fin a Urteschei? Kaum waren die rauschenden Worte erklungen, als sich Vater und Mutter und die Kinder, so wie auch die Knechte und die Mägde schleunigst aufrichteten und uns sprachlos anstarrten. Hierauf wiederholten wir den Ruf; aber nunmehr, da sie gewahrt hatten daß wir landesfremde Wanderer seyen, brachen sie alle in ein schallendes Gelächter aus und schrien uns verschiedene Sachen zu, die wir sämmtlich nicht verstanden. Wir ließen uns indessen durch diese Begegnung nicht abschrecken, sondern machten vielmehr gleich wieder einen neuen Versuch. Da traf es sich nämlich, daß wir an einer jähen Halde hinschritten und unter uns im Gerstenfelde einen Mann bemerkten, der gerade langsam gegen uns herauf stieg und eine breite Garbe über dem Haupte trug, so daß er uns nicht ersehen konnte. Wir riefen also wieder: Dang longsch ie’l pa da tlo fin a Urteschei? worauf er laut und vernehmlich sprach: mezza ora. Diesen hatten wir also wirklich berückt und dadurch fanden wir uns reich belohnt für die kurze Mühe, die wir auf die Erlernung des Grödnerischen gewendet hatten; ließen uns auch nicht irre machen, als der Mann bald darauf den Steig betretend, seine Last von sich warf und uns nachrief, er wisse doch daß wir keine Grödner seyen.

Ein Jahr lang hatte ich den Spruch im Kopfe behalten, und als ich zum zweitenmale über Castelrutt ins Grödnerthal ging, und beim Weiler Rungaditsch vorüber kam, fiel er mir wieder ein. Damals sah ich im Vorbeigehen einen Knecht hinten im Heustadel stehen und rief zu deutsch: Wie weit noch

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_427.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)