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traten wir ins Freie und gingen auf den Wasserfall zu. Wenig Gunst in der Beleuchtung und daher meinerseits große Beruhigung, daß die berühmte Cascade schon von andern, farbenreichern Beschauern ihren Theil erhalten hat und bereits zu verschiedenenmalen beschrieben und gemalt worden ist. Der Fall hat drei Absätze; davon ist der unterste der regelmäßigste, der mittlere in wilder Kluft gelegene, der kleinste, der oberste, weithinstäubende, der großartigste. Vom untern war uns am wenigsten vergönnt; das Titanische, das Elementare fühlten wir wohl in seiner Nähe, den eigens geschaffenen Wind, den Gußregen von Wasserperlen, die das wilde Wehen verträgt, und den betäubenden Donner des Sturzes; aber das Malerische wurde uns nicht ganz klar, denn da lag gerade oben, wo er aus dem bebuschten Felsenbette herauskam, eine dicke Wulst zusammengeschichteter Nebelwolken, so daß die Wassersäule unten nur herausfiel wie aus einem Mühlbeutel. Zur rechten Seite oben steht auch schon ein Pavillon, über dessen innere Geschichte uns das Mädchen, welches uns führte, manches Memoirenartige erzählte. Als wir davon wieder zurückgekommen waren, trennten wir uns, wir fünf Gesellen nämlich, die vorgestern zusammen in Zell aufgestanden und über die Gerlos gegangen waren und Abends in der Krimmel jene denkwürdige Abendunterhaltung veranstaltet hatten – da trennten wir uns, wie solche die sich schwerlich je wieder im Pinzgau zusammen finden werden, herzlich und mit wackerm Händeschütteln und die einen, die zwei Leipziger, zogen sachsenwärts und die zwei andern, die Bayern gingen mit mir auf das Pusterthal los, vielmehr auf sein hinterstes Winkelthal in Ahren, von dem uns jetzt nur noch der Krimmler Tauern schied, ein einziger Berg, aber ein Berg, dessen Jochhöhe fast 9000 Fuß über dem Meere liegt.

Wir stiegen also an dem donnernden Bache aufwärts, in einem engen Thale, über Felsbrocken und Gestrüppe. Dunkelgrüner Tannenwald stand zu beiden Seiten und nickte immer heiterer, denn seine Wipfel fingen an sich stätiger zu vergolden und durch seine Düfte schien immer gleißender das Sonnenlicht, je mehr wir von der Cascade uns entfernten

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Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol, München 1846, Seite 585. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Drei_Sommer_in_Tirol_(Steub)_593.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)