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Da tönen vom Dom rheinüber der Glocken dumpfe Zungen
Wie tausendjähr’ge Klage vom Leid der Nibelungen;
So blutete die Wunde, die Siegfrieds Herz durchschnitt,
Als um des Helden Bahre der grimme Hagen schritt.

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Du graues Todtenmünster, nicht mag in diesen Tagen

Dein müder Nacken länger die Wittwenkrone tragen.
Dir drohet von den Enkeln Vergessenheit und Schmach:
Wie Kuppel sinkt geborsten, die Pfeiler wanken nach.

Laß ab, mein Lied, zu klagen! – Es zieht in alter Weise

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Der Sterne Chor dort oben die heil’gen Weltenkreise;

Durch duftiges Gewölke ergießt sein ew’ges Licht
Der Mond dem todten Eiland in’s stumme Angesicht.

Und wie lebend’ges Lächeln seh’ ich’s darüber gleiten,
Ein Traumgebild aus alten, lusthellen Frühlingszeiten;

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Die Ufer athmen leise, die Wellen flüstern drein,

Es küßt die todte Buhle der königliche Rhein.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hertz: Gedichte. Hoffman und Campe, Hamburg 1859, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Gedichte_(Hertz_W)_086.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)