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Finster winkt er seinen Kriegern,
Und sie bringen einen Jüngling,
Nackt, mit rückgeschnürten Armen,
Aber hold wie junger Frühling.

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„Trittst du vor mich, Bild des Feindes?“

Ruft der Held und springt vom Sitze,
„Ha, dein Anblick brennt mein Auge
Schmerzlicher als Sand der Wüste,
Glühender als Stich der Sonne!

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Schön bist du, schön wie dein Vater,

Da er unsern Stamm bestohlen
Um die Ehre meiner Schwester.
Flehe nicht mit feuchtem Blicke,
Denn für solchen Blick empfieng er

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Gastfreundschaft in uns’rem Zelte,

Da er kam, ein nackter Flüchtling.
Willst du Gnade bei mir finden,
Reiße selbst aus deinem Antlitz
Diese reizend falschen Züge

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Und verseng’ zu Staub und Asche

Die wollüstig glatten Glieder!
Ferne liegt die Zeit des Frevels,
Lange Jahre blut’ger Fehde;
Herbstlich färbt sich meine Locke,

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Doch mein Haß hat ew’gen Frühling.

Greis ist dein verhaßter Vater,
Greis und müde wie ich selber,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hertz: Gedichte. Hoffman und Campe, Hamburg 1859, Seite 248. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Gedichte_(Hertz_W)_254.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)