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lang vor der Wohnstube des Lehrers stehen und mochte nicht hineingehen und seine Frage tun. Da dachte Stineli heimlich: Wenn er noch drei Tage lang nicht fragt, dann frag’ ich. Aber am vierten Tage, als Rico wieder nachdenklich und zaghaft an der Tür stand, ging diese plötzlich auf, und der Lehrer trat eilig heraus und stieß so gewaltig gegen den Rico an, daß das federleichte Büblein ein gutes Stück rückwärts flog. In großem Erstaunen und ziemlichem Unwillen stand der Lehrer da. „Was ist das, Rico?“ fragte er jetzt, als der Kleine wieder am Platze stand. „Warum kommst du an eine Tür und klopfest nicht an, wenn du da etwas zu verrichten hast; wenn du aber nichts da zu verrichten hast, warum entfernst du dich nicht? Solltest du mir aber etwas zu berichten haben, so kannst du’s gleich hier sagen. Was wolltest du?“

„Was kostet eine Geige?“ stürzte Rico vor lauter Angst in voller Hast heraus.

Des Lehrers mißbilligendes Erstaunen wuchs sichtlich. „Rico, was muß ich von dir denken?“ fragte er mit gestrenger Miene; „kommst du extra an die Tür deines Lehrers, um unnütze Fragen an ihn zu tun? oder hast du eine Absicht? Was hast du damit sagen wollen?“

„Ich habe nichts sagen wollen“, entgegnete Rico schüchtern, „nur fragen, was eine Geige kostet.“

„Du hast mich nicht verstanden, Rico; paß jetzt auf, was ich dir sage: ein Mensch spricht etwas aus und denkt sich dabei einen Zweck; oder er denkt sich nichts dabei, das sind unnütze Worte. Nun paß auf, Rico: hast du soeben diese Frage getan aus gar keinem Grunde, oder aus Neugierde, oder hat dich jemand geschickt, der gern eine Geige anschaffen wollte?“

Empfohlene Zitierweise:
Johanna Spyri: Heimatlos. Gotha 1878, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Heimatlos_(Spyri)_015.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)