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Es war aber bestimmt, daß, wer am ersten Wasser aus einem fern gelegenen Brunnen brächte, Sieger seyn sollte. Nun bekam der Laufer einen Krug und die Königstochter auch einen, und sie fingen zu gleicher Zeit zu laufen an; aber in einem Augenblick, als die Königstochter erst eine kleine Strecke fort war, konnte den Laufer schon kein Zuschauer mehr sehen und es war nicht anders, als wäre der Wind vorbei gesaust. In kurzer Zeit langte er bei dem Brunnen an, schöpfte den Krug voll Wasser und kehrte wieder um. Mitten aber auf dem Heimweg überkam ihm eine Müdigkeit, da setzte er den Krug hin, legte sich nieder und schlief ein. Er legte aber den Kopf auf einen Pferdeschädel, damit er hart liege und bald wieder erwache. Indessen war die Königstochter, die auch gut laufen konnte, so gut als ein gewöhnlicher Mensch vermag, zu dem Brunnen gekommen und lief mit ihrem Krug voll Wasser zurück, und als sie den Laufer da liegen und schlafen sah, war sie froh und sprach: „der Feind ist in meine Hände gegeben,“ leerte seinen Krug aus und sprang weiter. Nun wär alles verloren gewesen, wenn nicht zu gutem Glück der Jäger mit seinen scharfen Augen oben auf dem Schloß gestanden und alles mit angesehen hätte. Da sprach er: „die Königstochter soll dennoch gegen uns nicht aufkommen,“ lud seine Büchse und schoß sie so künstlich auf den Laufer, daß er den Pferdeschädel ihm unter dem Kopf wegschoß, ohne ihm weh zu thun und ihn aufweckte. Da erwachte der Laufer, sprang in die Höhe und sah, daß sein Krug leer und die Königstochter schon vor ihm war. Aber er verlor den Muth nicht, faßte den Krug, lief wieder

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_381.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)