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wenn auch organisches, darf betrachtet werden. Bei dem Volk hat noch fortgedauert, was in den durch die Schrift auf uns gekommenen Dichtungen so gut spurlos untergegangen ist, als jene gleichfalls hierher gehörigen Lieder von Saurle und Hamder, deren Daseyn doch ausdrückliche Zeugnisse beweisen. Auch hierin gleicht die Sage der Sprache, die eben so nur in dem Bewußtseyn des ganzen Volks vollständig lebt.

Die Thiermärchen öffnen eine andere Welt. Das heimliche Treiben der Thiere in den Wäldern, Triften und Feldern hat etwas sehr bedeutendes. Es herrscht unter ihnen eine bestimmte Ordnung, in dem Bau ihrer Wohnung, in dem Ausflug, der Heimkehr, dem Füttern der Jungen, der Vorsorge für den Winter; ihr Gedächtniß scheint groß, sie machen sich einander verständlich, und ihre Sprache ist wohl nicht mannigfaltig, aber mächtig und eindringlich. Sie vereinigen sich in Schaaren, ziehen aus, haben Anführer und bekriegen einander. Dabei ist nichts natürlicher, als ihnen ein sittlich geordnetes, menschliches Leben und Weben zuzuschreiben, das sie nur unsern Blicken zu verbergen scheinen. Das Auge der Dichtung aber sieht alles Geheime und Verborgene, sie offenbart diesen innern Haushalt der Thiere, und da sie ihnen zugleich die menschliche Sprache beilegt, wodurch sie allein schon vieler menschlichen Gedanken theilhaftig werden, so sind sie uns noch näher gerückt. Außerdem entsteht durch die beständige Vermischung des Thierischen und Menschlichen, ein besonderer Reiz: man denkt, es wären wirklich Menschen, die Gefallen daran hätten, sich einmal in dieser Gestalt zu belustigen. Natürlich, daß bei dieser Vereinigung Sagen herüber

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite XLIX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V1_v_049.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2020)