Seite:De Kinder und Hausmärchen Grimm 1819 V2 227.jpg

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umhängst, so bist du unsichtbar und kannst den Zwölfen dann nachschleichen.“ Wie der Soldat so guten Rath bekommen hatte, wards Ernst bei ihm, so daß er sich ein Herz faßte, vor den König ging, und sich als Freier meldete. Er ward so gut aufgenommen wie die andern auch, und wurden ihm königliche Kleider angethan. Abends zur Schlafenszeit wurde er in das Vorzimmer geführt, und als er zu Bette gehen wollte, kam die älteste und brachte ihm einen Becher Wein, aber er hatte sich einen Schwamm unter das Kinn gebunden und ließ den Wein da hineinlaufen und trank keinen Tropfen. Dann legte er sich nieder, und als er ein Weilchen gelegen hatte, fing er an zu schnarchen, wie im tiefsten Schlaf. Das hörten die zwölf Königstöchter, lachten und die älteste sprach: „der hätte auch sein Leben sparen können!“ Darnach standen sie auf, öffneten Schränke, Kisten und Kasten, und holten prächtige Kleider heraus, putzten sich vor den Spiegeln, sprangen herum und freuten sich auf den Tanz. Nur die jüngste sagte: „ich weiß nicht, ihr freut euch, aber mir ist so wunderlich zu Muthe, gewiß widerfährt uns ein Unglück.“ – „Du Schneegans, sagte die älteste, du fürchtest dich immer, hast du vergessen, wie viel Königssöhne schon umsonst da gewesen sind; dem Soldaten hätt’ ich nicht einmal brauchen einen Schlaftrunk zu geben, er wär’ doch nicht aufgewacht.“ Wie sie alle fertig waren, sahen sie erst nach dem Soldaten, aber der rührte und regte sich nicht, und wie sie nun glaubten, ganz sicher zu seyn, so ging die älteste an ihr Bett und klopfte daran; alsbald sank es in die Erde und öffnete sich eine Fallthür.

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1819). Berlin: G. Reimer, 1819, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1819_V2_227.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)