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aus den Augen verlohren haben, indem wir statt dieser Schranken so gern das Unendliche im Sinn haben und glauben, daß die Vorsehung immer nur dazu mit uns beschäftigt seyn müssen, um aus unsern Grenzen zu rücken, unsre Schranken unendlich zu erweitern und uns die Ewigkeit in der Zeit d. i. den Ocean in der Nußschaale zu genießen zu geben. Unsre Metaphysik und Wortphilosophie, unser Jagen nach Känntnissen und Gefühlen, die über die menschliche Natur hinaus sind, kennt keine Schranken und so sinken wir, nachdem wir uns in jungen Jahren vergeblich aufgezehrt haben, im Alter wie Asche zusammen, ohne Form des Geistes und Herzens, vielmehr also ohne jene schönere Form der Menschheit, die wir doch wirklich erreichen konnten. Wie selten ist in manchen Zeitaltern der Geschichte jene einfältig schöne Gestalt, nach der die besten Menschen des Alterthums, nicht im Wissen, sondern in der Lebensweisheit streben, indem sie ihr Daseyn als einen Marmor ansahen, dem sie zu allen Verhältnissen

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_266.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)