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eine schöne Gestalt geben sollten und ihr Leben als ein Saitenspiel betrachten, das mannichfaltig, aber immer harmonisch klingen müßte. Das Maas der Nemesis war zu dieser Stimmung nothwendig: denn der Uebermuth oder die Schlaftrunkenheit ist eben das, was einen Menschen am meisten verderbt und ihn zu seinem moralischen oder Glückes-Tode entweder fortreißt oder einschläfert. Eine neidische Gottheit darf es also nicht seyn, die Herodot als eine nachschleichende Feindin jedes menschlichen Glücks betrachtet hätte: man muß vielmehr merken, wer bei ihm solche ernste Lehren und wem er sie sage? Auch bei den griechischen Dichtern äußern dergleichen Klagen nur aufgebrachte oder unglückliche Gemüther; oder es wird zu ihnen nach ihrer Weise geredet. Daß aber eine wachsame, strengaufmerkende Gottheit die Menschen begleite, daß es eine Linie gebe, jenseit welcher der Sterbliche, wie ein Verrückter, der vom Mittelpunct seiner Stärke hinweg ist, aus Tiefe stürzt und aus Ungemach in Ungemach

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_267.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)