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Kein neuerer Schriftsteller hat, dünkt mich, in Sachen des Geschmacks und des feineren, gründlichen Urtheils über litterarische Gegenstände, auf Deutschland mehr gewirkt, als Leßing. Was war Deutscher Geschmack im Anfang dieses Jahrhunderts? Wie wenig war er, als Gottsched ihn aus den Händen der Talander, Weise, Menantes empfing und nach seiner Art fortbildete! Er ward gereinigt und gewässert, er empfing Körper, aber ohne Geist und Seele. Bodmer kam dem Mangel zu Hülfe und führte Provisionen von Gedanken aus Italien, England, den Alten, und woher es sonst anging, herbey; Schade aber, es waren fremde, zum Theil einförmige und schwere Gedanken, die in Deutschland nicht so leicht allgemeinen Curs finden konnten. Jetzt kam Leßing. Sowohl an Witz als in Gelehrsamkeit, an Talenten und im Ausdruck war er beynah Gottscheds Antipode.

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Zweite Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1786, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_II_(Herder)_379.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)