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eine feinere Wendung dergestalt sublimiret, daß für uns Europäer eben der Geist ihrer weisen Sprüche und Reden, auf den sie es am künstlichsten anlegten, gewöhnlich zuerst verrauchet. Da überdem nun diese Nation im Ganzen immerhin in einer Art Barbarei blieb, in welche sie, seitdem Türken und andre Völker ihre Eroberungen in Besitz nahmen, noch tiefer hinab sank: so wird selbst in ihrer Poesie ein sonderbarer Contrast von Rohheit und Feinheit merkbar. Hohe Beschreibungen, edle Empfindungen wechseln mit harten Gesinnungen, insonderheit des Stolzes und der Rache, dergestalt ab, daß man oft nicht weiß, ob man einen Räuber oder einen Helden, einen Stolzen oder einen Wahnsinnigen reden höre. Welch ein weites Feld der Verschiedenheiten in dieser Dichtkunst giebt auch ein Erdstrich von Samarkand bis nach Marokko, ein Zeitraum lange vor Mohammed bis auf unsre Zeiten, ein Abstand von dem feinsten Hofdichter zur Zeit so vieler Chalifen und Fürsten, die der Poesie huldigten, bis zu einem Beduin der Wüste, der auch

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_134.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)