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Mensch, jedes Volk heißen, dem es entweder an diesen Grundsätzen fehlet, oder das sie geringe hält und nicht ausübet. Wie sehr es nun manchen Zeiten und Völkern an ihnen fehle, zeigt die Erfahrung. Viele in der Jugend gelernte Grundsätze liegen so fern ab von unsrer Lebensweise, daß, weil wir sie nirgend geübt sehen, wir zuerst ihnen, zuletzt allen Grundsätzen den Glauben entziehen, und uns begnügen nach Neigung und Gewohnheit zu leben. Da wir aber, wie angezeigt ist, dennoch nie ganz als Thiere leben können, vielmehr insgeheim immer nach Grundsätzen, wenn gleich nach schlechten Vorurtheilen handeln; wozu dieser Unglaube an jede edlere Form der menschlichen Denkart? Er erniedert die Seele eben so sehr, als er das Herz verenget und lähmet. Laß es seyn, daß andern die schönsten Sprüche und Maximen blos Worte bleiben; dir bleiben sie das nicht, wenn du ihren Werth erkennest, dich an ihnen freuest, und in ihnen lebest. Nein, ihr habt nicht vergebens geschrieben, auch ihr Weisheit- und Sittenlehrer neuerer Nationen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_160.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)