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einer Reise durch Deutschland findet man oft im Bezirk weniger Meilen alte, mittlere, junge und die jüngste Zeiten bei einander; hier haucht man noch die Luft des zwölften, dort singt man Weisen des sechzehnten, zehnten, vierten Jahrhunderts; auf einmal steigt man in Cabinette, die unter dem üppigen Herzog-Regenten angeordnet, in Galerien, die unter Ludwig 14. gesammlet, und endet mit Anstalten, die fürs zwanzigste Jahrhundert ersonnen zu seyn scheinen. So unterrichtend dies Chaos für einen Reisenden seyn mag: so verwirrend und unterdrückend müßte es für den Bewohner seyn, wenn sich die menschliche Natur nicht an Alles gewöhnte. „Herr, er stinket schon, sagte jene traurige Schwester, denn er hat schon vier Tage im Grabe gelegen.“ Bei manchen Einrichtungen könnte man vier Jahrhunderte sagen; und noch riechen sie ihren Brüdern und Schwestern nicht übel. Diese sind an den Duft gewöhnt, und er ist ihnen nahrhaft.

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 359. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_379.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)