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Mensch, ein vernünftiges, moralisches und politisches Geschöpf, lebt vermöge dieser Fähigkeiten und Kräfte in einem eignen, unendlich weiten Element. Seine Vernunft hängt mit der Vernunft andrer, seine moralische Bildung mit dem Betragen andrer, seine Anlage sich als ein freies Wesen selbst und mit andern zu constituiren, hangt mit der Denkart, der Billigkeit und der wirksamen Unternehmung Vieler so genau zusammen, daß er außer diesem Element ein Fisch auf trocknem Lande, ein Vogel in Luftleerem Raum seyn muß. Seine besten Kräfte ersterben; seine Fähigkeit bleibt ein todtes Vermögen, und alle Anstrebung außer Zeit, Ort und Mithülfe der Elemente ist wie das Erscheinen einer Blume mitten im Winter. Die Natur macht Jahreszeiten, sie fördert Kräfte; sie fördert sie auch im Menschengeschlechte. Einzelne Menschen, Stände, Corporationen, ganze Gesellschaften und Völker können mit diesem Strome nur fortgehn; sie haben alles gethan, wenn sie in seinem Laufe klug

Empfohlene Zitierweise:
Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_389.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)