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Saft wiederzugeben, der sie einst mit dem Baum zu einem lebendigen Ganzen machte? Vermag er dieses aber nicht, wie? wenn er sich mit einem falben Kranz verwelkter Blätter kränzen wollte, weil sie ehedem etwas anders, als sie jetzt sind, waren? Was die Natur nicht halten konnte, wollte das der Gärtner halten? und zwar ihren Zwecken nicht gemäß, sondern gerade zuwider? Unendlich schöner ist das Werk, der Natur nachzugehn und auf ihre Zeiten zu merken, Kräfte zu wecken, woirgend sie schlummern, Gedanken, Thätigkeit, Erfindung, Lust und Liebe zu befördern, in welchem Felde nützlicher Beschäftigungen es auch seyn möge. Endlich kommt die Nothwendigkeit und treibt mit einem eisernen Scepter; wer der Vernunft und Billigkeit dient, kommt der Nothwendigkeit zuvor, und darf oft mit Oberons Lilienstabe nur winken, so sprießen hier statt der verwelkten neue Blumen, so reifen dort, wenn die Blüthenzeit vorüber ist, nährende Früchte.

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_391.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)