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versiegen werde; sie strömt aus eigner Fülle, in unaufhaltsamer Bewegung. Was Andre uns von uns selbst zeigen, ist nur der Schein; er hat immer einigen Grund und ist nie ganz zu verachten; es ist aber nur der Wiederschein in ihnen, der von ihrer eignen, oft zerbrochnen und düstern Gestalt zurückgespielt wird, nie unser Wesen. Laß das kleine Gewürm um und über Dich kriechen, und sich äuserst bemühen, daß man dich für todt halte; sie wirken in ihrer Natur, wirke Du in der Deinen und lebe. Ueberhaupt hält uns unsere Brust, unser Charakter viel mehr und länger aufrecht empor, als alle Spitzfindigkeit des Kopfs und jede Verschlagenheit des Geistes. Im Herzen leben wir, nicht in den Gedanken. Meinungen andrer können ein günstiger oder feindlicher Wind seyn in unsre Segel; Umstände können uns, wie das Meer die Schiffe, hier festhalten, dort gewaltig fördern; Schiff und Segel, Compaß, Steuer und Ruder sind aber doch unser. Ergraue

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter, Vierte Sammlung. Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1792, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zerstreute_Bl%C3%A4tter_IV_(Herder)_400.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)