Seite:De humanismus (joachimsen) 003.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

römische Weltreich verbunden haben, es gibt Handschriftensucher und Inschriftensammler, Briefschreiber, die sich um ein reineres Latein bemühen, Schulen, in denen man die antiken Autoren liest, es gibt einen Aristotelismus und einen Platonismus im Mittelalter. Aber es gibt keinen Humanismus als kulturgestaltende und wertgebende geschichtliche Bewegung. Diese beginnt vielmehr erst mit Petrarca, und ich kann den Gegenstand dieser Abhandlung nicht so erleuchten wie ich möchte, ohne von ihm etwas ausführlicher zu reden.

In Petrarca[1] erscheinen sogleich alle Wesenszüge des Humanismus, allerdings nur als individual-psychologisches Problem, Petrarca ist der erste Mensch in der abendländischen Geistesgeschichte, der sein Leben auf ästhetischer Empfindsamkeit aufbaut. Er hat schon als Kind, bevor er noch den Sinn lateinischer Worte versteht, ein Ohr für die Schönheit der Perioden Ciceros und der Verse Virgils. Die antiken Sentenzen, in die der Lehrbetrieb der Grammatik- und Rhetorikschulen das antike Bildungsgut aufgelöst hatte, notiert er wie seine Altersgenossen in sein rapiarium, wie man so etwas später nannte. Aber er tut das nicht wie die andern um eine Phraseologie des Briefes oder der Rede zu gewinnen, sondern er hört aus diesen Lehrsätzen die Stimmen einer Vergangenheit zu sich selbst sprechen[2]. Sie sind ihm eine erste Bestätigung eines ursprünglichen, seelischen Zwiespalts, der ihn vereinsamt, von seinen Genossen trennt. Er fühlt sich früh alt, hat jugendliche Todesgedanken. Sie entstehen aus der Empfindung, daß er nicht imstande ist, das zu sein, was er möchte[3]. Die

  1. Über ihn unterrichtet jetzt gut die neue Arbeit von Hans W. Eppelsheimer. Bonn 1926. Doch muß man dazu die Kritiken von Piur in der Deutschen Literaturzeitung 1927, Sp. 61 ff. und vor allem die von Calcaterra im Giornale storico della Litteratura italiana Vol. 91, S. 92 ff. lesen.
  2. Epistulae de rebus familiaribus XXIV, 1. Bd. 3, S. 251, Florenz 1863. Philipp von Cabussol: Notabam certa fide non verborum phaleras sed res ipsas, miserae scilicet vitae huius angustias, brevitatem, velocitatem. – Indomitae mortis inclementiam implacabilemque duritiem. Quae cum scholae atque aevi comitibus quaedam quasi somnia viderentur, mihi iam tunc ... et vera et pene praesentia videbantur. Et seu ille ille oris verus decor seu error esset aetatis, ... mihi non alteri dictum rebar, quotiens pastorium illud vel legerem vel audirem: O formose puer, nimium ne crede colori.
  3. Aus demselben Brief: Hoc intra me et coaequevos meos, quin etiam senes nostros intererat, quod ipsum illis certum et immensum erat mihi exiguum [422] atque ambiguum videbatur, de quo crebri sermones et iuvenilis altercatio, in qua senum praeponderabat auctoritas . . . Itaque fando victus in arcem silentii confugiebam. Hierüber vorzüglich F. de Sanctis, Saggió sul Petrarca, Napoli 1869.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_003.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)