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geschaffene nationale Reizbarkeit wäre die Reformation kaum oder wenigstens nicht so schnell eine große deutsche Bewegung geworden. Ohne die Verbindung mit den erasmischen Tendenzen hätte sie nicht einen so großen Teil des europäischen Geistes ergriffen. Aber auch schon für die Zeit, wo Luther seine neue Glaubenserkenntnis zu einer Theologie ausbildete, also die Wittenberger Jahre von 1512–1517 bestehen Beziehungen zum Humanismus. Luthers Kampf gegen Aristoteles als den Verfälscher der Theologie hat seine nächsten Entsprechungen in den Positionen der erasmischen Aufklärung. Aber auch in den rein religiösen Fragen gibt es eine Art von natürlicher Bundesgenossenschaft zwischen Luther und der erasmischen Aufklärung. Wir können sie in direkten Entlehnungen bei Luther nachweisen. – Ebenso unverkennbar ist aber Luthers Anlehnung an die ältere deutsche Mystik, die wir als wesensbildend für den älteren deutschen Humanismus erkannt haben. Als er 1518 zum zweitenmal die ’Theologia teutsch‘ herausgab, dieses merkwürdige Schriftchen aus dem Kreise der rheinischen Gottesfreunde, in dem die Lehre von der Stillung des Willens ihren besonderen Akzent gefunden hat, preist er sich glücklich, daß er seine Theologie in der des alten deutschen Verfassers wiederfinde, und daß Gott hier nun also auch in deutscher Zunge geredet habe, deutlicher als seither in lateinischer, griechischer und hebräischer[1].

Die Annäherung Luthers an die beiden Richtungen des Humanismus, die romantische und die aufklärerische, hat bekanntlich in der Zeit zwischen der Leipziger Disputation und dem Wormser Reichstag ihren Höhepunkt erreicht, und sie ist gegenseitig gewesen. Das ist die Zeit, wo Erasmus in Köln dem Kurfürsten von Sachsen seine Axiomata vorträgt, daß Luther deshalb verfolgt werde, weil er dem Papst an die Krone und den Mönchen an den Bauch gegriffen habe und daß es jedenfalls unmöglich sei, die Wahrheit, die er vertrete, mit Feuerbränden zu unterdrücken. Es ist dieselbe Zeit, wo Hutten bereit ist, seinen Geist mit dem Luthers zu verbinden und Luther zu dem gleichen bereit ist, wo die deutsche und die evangelische Freiheit im Begriffe scheinen, einen Bund miteinander einzugehen.

Dann aber kam der Bruch, der kommen mußte. Es zeigte sich, daß die Freiheit des Christenmenschen, die Luther predigte,

  1. S. den Abdruck der Vorrede in Luther, Ausgewählte Werke, ed. H. H. Borcherdt, Bd. 7, S. 343 ff. (München, Müller 1925) mit meinen Anmerkungen.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_051.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)