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Die wirklich verhängnisvolle Wirkung des Versuchs, den deutschen Geist zum ersten Male humanistisch zu formen und zu normieren, ist eine andere gewesen. Es ist das vollständige Auseinanderfallen von Stofftrieb und Formtrieb. Wir sehen das am deutlichsten an der zweifellos größten Einbildungskraft des ausgehenden 16. Jahrhunderts, an Fischart. Bezieht man den Gedankeninhalt seiner Werke auf die ihm überlieferten Bildungswerte, so sieht man, daß er sowohl die romantischen wie die aufklärerischen Tendenzen des Humanismus geerbt hat und sie fortzuführen bestrebt ist. Aber das scheitert alles an seinem Unvermögen zur großen Form. Wie erschütternd ist das, wenn wir ihn da betrachten, wo er sich ein ebenfalls formloses Genie, Rabelais, zum Vorbild nimmt.

Aber auch in diesem Punkte hat der Humanismus nur einen längst begonnenen Prozeß beschleunigt, der auch ohne ihn und gleichsam unterhalb seiner Sphäre weitergeht. Das sehen wir an Paracelsus. Er gehört mit seinem Leben und eigentlich auch mit seiner Wirksamkeit dem humanistischen Zeitalter an. Zu einer andern Zeit und unter andern geistigen Bedingungen hätte er nicht versuchen und nicht einmal daran denken können, aus der Medizin eine Philosophie, eine Allwissenschaft zu machen. Aber er gehört nicht unter die Humanisten. Er wollte nicht nur ein Eigener sein, der keiner Tradition etwas verdankte, sondern er war es. Und auch ein „philosophus nach der teutschen Art“, wie er sich nannte, ist er wirklich gewesen. Er ist seit dem Cusaner der erste deutsche Mensch, der um ein wirklich universales Weltbild ringt, und er hat damit über seine Zeit hinaus gewirkt. Der „Paracelsische Geist“ ist eine Macht in dem Deutschland vor dem dreißigjährigen Kriege. Damals hat ein Schwabe, Johann Valentin Andreae, selbst ein allen Regungen seiner Zeit aufgeschlossener Mensch, dem Paracelsus in seinen Apologen einen Platz im Palast der Fama, der Behausung der höchsten Geister, in Gemeinschaft mit Cardanus, Petrus Ramus und Copernicus angewiesen. Aber eben der Vergleich mit dem Cusaner zeigt die verhängnisvolle Wandlung, die der deutsche Geist seitdem erfahren hat. Ist Paracelsus in seinem „Paramirum“ wirklich über das Wunderbare, in seinem „Paragranum“ wirklich über die Splitter hinausgekommen? Hat er seine „Monarchei“ als ein geistige, Werk auch nur so hoch geführt wie etwa der viel weniger große Giordano Bruno? Ich kann das nicht bejahen, und ich glaube

Empfohlene Zitierweise:
Paul Joachimsen: Der Humanismus und die Entwicklung des deutschen Geistes. Aus: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 8. 1930, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_humanismus_(joachimsen)_061.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)