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Zeil der Napoleonischen Eroberung, wenn Russland der deutschen Presse eine strengere Censur verordnet; und wenn Sie darin einen Trost finden, dass wir jetzt dieselbe Offenherzigkeit, wie damals geniessen, so tröstet mich das durchaus nicht. Als Napoleon in Erfurt zu den deutschen Gratulanten, die ihn mit notre prince anredeten, sagte: je ne suis pas votre prince, je suis votre maitre;[WS 1] wurde er mit rauschendem Beifall aufgenommen. Und hätte ihm der russische Schnee nicht darauf geantwortet, die deutsche Entrüstung schliefe noch. Sagen Sie mir nicht, dieses unverschämte Wort sei blutig gerächt worden, reden Sie mir nicht ein, die zufällige Rache wäre nothwendig erfolgt, alle Völker seien abgefallen von dem nackten und blossen Despotismus, sobald er sich ganz enthüllt hätte. Ich will ein Volk sehen, das ohne alle andere Völker seine Schmach fühlt; ich nenne Revolution die Umkehr aller Herzen und die Erhebung aller Hände für die Ehre des freien Menschen, für den freien Staat, der keinem Herrn gehört, sondern das öffentliche Wesen selbst ist, das nur sich angehört. So weit bringen es die Deutschen nie. Sie sind längst historisch zu Grunde gegangen. Dass sie überall mit zu Felde gelegen, beweist nichts. Es wird den eroberten und beherrschten Völkern nicht erspart, sich zu schlagen, aber sie sind nur Gladiatoren, die sich für einen fremden Zweck schlagen und, wenn ihre Herren den Daumen niederdrücken, sich erwürgen. „Seht, wie das Volk sich für uns schlägt!“ sagte 1813 der König von Preussen. Deutschland ist nicht der überlebende Erbe, sondern die anzutretende Erbschaft. Die Deutschen zählen nie nach kämpfenden Partheien, sondern nach der Seelenzahl, die dort zu verkaufen ist.

Sie sagen, die liberale Heuchelei ist entlarvt. Es ist wahr, es ist sogar noch mehr geschehn. Die Menschen fühlen sich verstimmt und beleidigt, man hört Freunde und Bekannte unter einander räsonniren, überall redet man hier von dem Schicksal der Stuarts und wer sich fürchtet, unvorsichtige Worte zu sagen, der schüttelt wenigstens den Kopf, um anzuzeigen, dass eine gewisse Bewegung in ihm vorgeht. Aber alles redet und redet nur: ist auch nur Einer da, der seinem Unwillen zutraute, dass er allgemein sei? Ist ein Einziger so thörigt, unsre Spiessbürger und ihre unvergängliche Schaafsgeduld zu verkennen? - Fünfzig Jahre nach der französischen Revolution und die Erneuerung aller Unverschämtheiten des alten Despotismus, das haben wir erlebt. Sagen Sie nicht, das neμnzehnte Jahrhundert erträgt ihn nicht. Die Deutschen haben dies Problem

  1. dt.: Ich bin nicht dein Prinz, ich bin dein Meister.
Empfohlene Zitierweise:
Ein Briefwechsel von 1843. In: Deutsch-Französische Jahrbücher. Bureau der Jahrbücher, Paris 1844, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsch_Franz_Jahrb%C3%BCcher_(Ruge_Marx)_019.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)