Seite:Deutsch Franz Jahrbücher (Ruge Marx) 198.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

ist in der Demokratie sinnliche Wirklichkeit, Gegenwart, weltliche Maxime.

Das religiöse und theologische Bewusstsein selbst gilt sich in der vollendeten Demokratie um so religiöser, um so theologischer, als es scheinbar ohne politische Bedeutung, ohne irdische Zwecke, Angelegenheit des weltscheuen Gemüthes, Ausdruck der Verstandes-Bornirtheit, Produkt der Willkür und der Phantasie, als es ein wirklich jenseitiges Leben ist. Das Christenthum erreicht hier den praktischen Ausdruck seiner universalreligiösen Bedeutung, indem die verschiedenartigste Weltanschauung in der Form des Christenthums sich neben einander gruppirt, noch mehr dadurch, dass es an andere nicht einmal die Forderung des Christenthums, sondern nur noch der Religion überhaupt, irgend einer Religion stellt (vergl. die angeführte Schrift von Beaumont). Das religiöse Bewusstsein schwelgt in dem Reichthum des religiösen Gegensatzes und der religiösen Mannigfaltigkeit.

Wir haben also gezeigt: Die politische Emancipation von der Religion lässt die Religion bestehn, wenn auch keine privilegirte Religion. Der Widerspruch, in welchem sich der Anhänger einer besondern Religion mit seinem Staatsbürgerthum befindet, ist nur ein Theil des allgemeinen weltlichen Widerspruchs zwischen dem politischen Staat und der bürgerlichen Gesellschaft. Die Vollendung des christlichen Staats ist der Staat, der sich als Staat bekennt und von der Religion seiner Glieder abstrahirt. Die Emancipation des Staats von der Religion ist nicht die Emancipation des wirklichen Menschen von der Religion.

Wir sagen also nicht mit Bauer den Juden: Ihr könnt nicht politisch emancipirt werden, ohne euch radikal vom Judenthum zu emancipiren. Wir sagen ihnen vielmehr: Weil ihr politisch emancipirt werden könnt, ohne euch vollständig und widerspruchslos vom Judenthum loszusagen, darum ist die politische Emancipation selbst nicht die menschliche Emancipation. Wenn ihr Juden politisch emancipirt werden wollt, ohne euch selbst menschlich zu emancipiren, so liegt die Halbheit und der Widerspruch nicht nur in euch, sie liegt in dem Wesen und der Kategorie der politischen Emancipation. Wenn ihr in dieser Kategorie befangen seid, so theilt ihr eine allgemeine Befangenheit. Wie der Staat evangelisirt, wenn er, obschon Staat, sich christlich zu dem Juden verhält, so politisirt der Jude, wenn er, obschon Jude, Staatsbürgerrechte verlangt.

Empfohlene Zitierweise:
Karl Marx: Zur Judenfrage. In: Deutsch-Französische Jahrbücher, Paris: Bureau der Jahrbücher, 1844, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsch_Franz_Jahrb%C3%BCcher_(Ruge_Marx)_198.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)