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Wilhelm Goldbaum: Wilhelmine von Hillern. Eine literarische Studie.

den schwersten socialen Problemen zu bewähren; der streng philosophische Geist der George Eliot, der vor keiner Consequenz zurückschreckt; der aristokratisch-polemische Hochmuth der jüngst verstorbenen Gräfin Hahn-Hahn, welche die erste „unverstandene Frau“ unserer Literatur war; das stark ausgebildete historische Gefühl bei Louise von François, einzig in dieser Art bei einer Frau; der Reformeifer Fanny Lewald’s endlich und die düstere Resignation Betty Paoli’s – es ist allüberall etwas Männliches, etwas von dem geläufigen Begriffe der Weiblichkeit Gesondertes, was uns entgegentritt. Jede dieser Frauen denkt man sich schwer als Mutter; an jeder von ihnen fesselt mehr ihr Können als ihr Sein; die meisten sind stürmischer Liebe fähig, aber nicht jener, welche wie Frühlingshauch erquickt, sondern der anderen, welche wie Sonnenguth versengt. Davon wußten Alfred de Musset und Friedrich Chopin zu erzählen.

Und in der That stammt die Schaffenskraft der Frauen aus jenem dunkeln Zwischengebiete, das zwischen den beiden Geschlechtern liegt, gleichsam als neutrale Zone, doch mehr den Männern als den Frauen unterthan. Nicht umsonst ist auch in der Natur die Fähigkeit, zu erzeugen, dem Manne vorbehalten, und nicht umsonst bildet auch sie etwas Dämonisches, Unerforschtes, Elementares wie die poetische Production. Man braucht darum just nicht am Worte zu kleben und die literarischen Frauen zu reizen, indem man sie der Unweiblichkeit zeiht; man braucht auch nicht den Vorwurf der Selbstvergötterung auf sich zu laden, indem man ihren Genius einen männlichen nennt. Das Wort thut nichts zur Sache. Aber sicher ist, daß alle belangreichen dichterischen Frauenschöpfungen sozusagen eine militirende Weiblichkeit zum Merkmal haben, eine Weiblichkeit, die mit sich selbst ringt, um sich von sich selbst zu befreien.


I.

Die vortreffliche Schriftstellerin, deren Namen über diesen Zeilen steht, ist ein classisches Muster jener militirenden Weiblichkeit. Eine beneidenswerthe Gestaltungskraft ist ihr gegeben, der das Dramatische wie das Epische, das Descriptive wie das Didactische sich gehorsam fügt; ihre Alpenbilder sind ebenso meisterhaft wie ihre Sittenschilderungen, ihre Conflicte nicht weniger ergreifend als die Handlungen ihrer Erfindung imposant und folgerichtig. Aber das Lyrische ist ihr versagt; die beschauliche Selbstbefriedigung des naiven weiblichen Empfindens, die Freude am Kleinen, Unscheinbaren hat in ihrer Seele keinen Raum. Es muß Kampf, Größe, Leidenschaft sein, in der Natur, in den Entwicklungen ihrer Menschenschicksale, damit ihr Talent sich wohlfühle; die Unterjochung des einen Geschlechtes durch das andere, der weiblichen Kraftentfaltung durch die männliche, ist ihr Problem. Ja soweit geht diese Freude an dem Walten der Kraft, daß nicht selten die reine physische Entwickelung derselben entscheidend wird und der Leser an den Armen der Geyer-Wally und des Bären-Joseph die Muskeln förmlich glaubt anschwellen zu sehen während ihres herculischen Ringens. Hier tritt Wilhelmine v. Hillern aus dem Bereiche des Weiblichen entschieden heraus, welches sie dennoch in anderer Richtung sichtlich in seinem Banne gefangen hält. Als sie noch nicht zu jener phänomenalen Sicherheit in der Gestaltung, welche sich in den beiden Erzählungen „Und sie kommt doch“ und „Die Geyer-Wally“ manifestirt, vorgedrungen war, da äußerte sich der militirende Charakter ihrer Begabung in den dialektischen Kämpfen

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Wilhelm Goldbaum: Wilhelmine von Hillern. Eine literarische Studie.. Deutsche Rundschau. Herausgegeben von Julius Rodenberg. Gebrüder Paetell., Berlin 1880, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DeutscheRundschau_1880_23_106.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)