Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V1 363.jpg

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runder Stein in Gestalt eines Brotes, in dessen Oberfläche sich vier kleine Höhlungen befinden. Davon geht folgende Sage. Kurz vor seinem Tode kam der heil. Kastulus als ein armer Mann zu einer Wittwe in der Stadt und bat um ein Almosen. Die Frau hieß ihre Tochter, das einzige Brot, das sie noch übrig hatten, dem Dürftigen reichen. Die Tochter, die es ungern weggab, wollte vorher noch eilig einige Stücke abbrechen, aber in dem Augenblick verwandelte sich das, dem Heiligen schon eigene, Brot in Stein und man erblickt noch jetzt darin die eingedrückten Finger deutlich.

Zur Zeit einer großen Theurung ging ein armes Weib, ein Kind auf dem Arm, eins neben, sich herlaufend und nach Brot laut schreiend, durch eine Straße der Stadt Danzig. Da begegnete ihr ein Mönch aus dem Kloster Oliva, den sie flehentlich um ein Bischen Brot für ihre Kinder bat. Der Mönch aber sagte: „ich habe keins.“ Die Frau sprach: „ach ich sehe, daß ihr in euerm Busen Brot stecken habt.“ „Ei, das ist nur ein Stein, die Hunde damit zu werfen,“ antwortete der Mönch und ging fort. Nach einer Weile wollte er sein Brot holen und essen, aber er fand, daß es sich wirklich in Stein verwandelt hatte. Er erschrack, bekannte seine Sünde und gab den Stein ab, der noch jetzt in der Klosterkirche dort hängt.



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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 1. Nicolai, Berlin 1816, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V1_363.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)