Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V2 180.jpg

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der Kaiser ohne Waffen und arglos zu ihnen ritt, hielten sie gerüstete Mannschaft im Hinterhalte, und überfielen den Herrn mit frechen Händen, daß sie ihn fingen und schlügen. Als Herr Heinrich diesen Treubruch und Mord geschehen sah, ließ er Baden und Waschen, sprang aus dem Zuber, nahm den Schild mit der einen, und sein Schwert mit der andern Hand, und lief blos und nackend nach dem Gemenge zu. Kühn schlug er unter die Feinde, tödtete und verwundete eine große Menge, und machte sie alle flüchtig. Darauf löste er den Kaiser seiner Bande, und lief schnell zurück, legte sich in den Zuber, und badete nach wie vor. Otto, als er zu seinem Heer wieder gelangte, wollte erkundigen, wer sein unbekannter Retter gewesen wäre; zornig saß er im Zelt auf seinem Stuhl, und sprach: „ich war verrathen, wo mir nicht zwei ritterliche Hände geholfen hätten; wer aber den nackten Mann erkennt, führe ihn vor mich her, daß er reichen Lohn und meine Huld empfange; kein kühnerer Held lebt hier noch anderswo.“

Nun wußten wohl einige, daß es Heinrich von Kempten gewesen war; doch fürchteten sie den Namen dessen auszusprechen, dem der Kaiser den Tod geschworen hatte. Mit dem Ritter – antworteten sie – stehet es so, daß schwere Ungnade auf ihm lastet; möchte er deine Huld wieder gewinnen, so ließen wir ihn vor dir sehen. Da nun der Kaiser sprach „und wenn er ihm gleich seinen Vater erschlagen hätte, solle ihm vergeben seyn:“ nannten sie ihm Heinrich von Kempten.

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_180.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2018)