Seite:Deutsche Sagen (Grimm) V2 283.jpg

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und roth steht?“ – „Das ist nur der Schein; vor dreißig Jahren war mein Leib schon erstorben und verweset, aber die Seele leidet Qual.“ – „Warum zoget ihr allein, das nimmt mich Wunder, da ich doch jede Frau sammt einem Ritter fahren sah?“ – „Der Ritter, den ich haben soll, der ist noch nicht todt, und gerne wollt ich lieber allein fahren, wenn er noch Buße thäte und seine Sünde bereute.“ – „Wie heißt er mit Namen?“ – „Er ist genannt von Schenkenburg.“ – „Den kenne ich wohl, er hob mir ein Kind aus der Taufe; gern möchte ich ihm hinterbringen, was mir hier begegnet ist: aber wie wird er die Wahrheit glauben?“ – „Sagt ihm zum Wahrzeichen dieses: Mein Mann war ausgeritten, da ließ ich ihn ein in mein Haus, und er küßte mich an meinen Mund; da wurden wir einander bekannt, und er zog ein rot gülden Fingerlein von seiner Hand und schenkte mir’s; wollte Gott, meine Augen hätten ihn nie gesehen!“ – „Mag denn nichts eure Seele retten, Gebete und Wallfahrten?“ – „Aller Pfaffen Zungen, die je lasen und sangen, können mir nicht helfen, darum, daß ich nicht zur Beichte gelangt bin, und gebüßt habe vor meinem Tod; ich scheute aber die Beichte; denn wäre meinem biderben Mann etwas zu Ohren kommen von meiner Unzucht, es hätte mir das Leben gekostet.“

Ritter Ulrich betrachtete diese Frau, während sie ihre jämmerliche Geschichte erzählte; an dem Leibe erschien nicht das Ungemach ihrer Seele, sondern sie

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_283.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)