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579.
Die Gräfin von Orlamünde.
Lazius de migrat. gent. Lib. 7.

Waldenfels antiquitatis selectae libri XII. Norimb. 1677. 4. p. 465 - 474.
Vgl. Jungs Anmerk. zum Titelkupfer seiner Geisterkunde.


Otto, Graf zu Orlamünde, starb 1340 (nach andern 1275. 1280. 1298) mit Hinterlassung einer jungen Witwe, Agnes, einer gebornen Herzogin von Meran; mit welcher er zwei Kinder, ein Söhnlein von drein, und ein Töchterlein von zwein Jahren erzeugt hatte. Die Witwe saß auf der Plassenburg und dachte daran, sich wieder zu vermählen. Einstens wurde ihr die Rede Albrechts des Schönen, Burggrafen zu Nürnberg, hinterbracht, der gesagt hatte: „gern wollt ich dem schönen Weib meinen Leib zuwenden, wo nicht vier Augen wären!“ Die Gräfin glaubte, er meinte damit ihre zwei Kinder, sie ständen der neuen Ehe im Weg; da trug sie, blind von ihrer Leidenschaft, einem Dienstmanne, Hayder oder Hager genannt, auf, und gewann ihn mit reichen Gaben, daß er die beiden Kindlein umbringen möchte. Der Volkssage nach sollen nun die Kinder diesem Meuchelmörder geschmeichelt und ihn ängstlich gebeten haben: „lieber Hayder, laß mich leben! ich will dir Orlamünden geben, auch Plassenburg des neuen, es soll dich nicht gereuen“ sprach das Knäblein; das Töchterlein aber „lieber Hayder, laß mich leben, ich will dir alle meine Docken geben.“ Der Mörder wurde hierdurch nicht gerührt, und vollbrachte die Unthat; als er später noch andre Bubenstücke ausgerichtet hatte, und gefangen auf der Folter lag, bekannte

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Brüder Grimm: Deutsche Sagen, Band 2. Nicolai, Berlin 1818, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutsche_Sagen_(Grimm)_V2_396.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)