Seite:Deutscher Dichterwald 085.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Christophorus.

1
Christophorus, mein lieber Mann,

Ich bin dir herzlich zugethan.
Du bist im Himmel, ich auf Erden,
Kann ich so weit erhöret werden,

5
So höre du mich an!


Du warest Knecht, ich ware Magd,
Von Liebe war gar nichts gesagt;
Du dachtest mich gewiß zu finden,
Ich hatte nicht vor vielen Sünden

10
Dir gut zu seyn gewagt.


Tagtäglich sucht’ ich’s Kämmerlein,
Da kniet’ ich denn vor meinem Schrein,
Schrieb an den Deckel dann mit Kreide
’Ne Sünd’, und daß ich sie bereute,

15
Und schob den Deckel ein.


Und sucht’ ich Tags darauf den Ort,
Da war die Kreide plötzlich fort -
O dacht’ ich, das sind Gottes Hände,
Nun werde fromm, du Magd, und wende

20
Dich nur zu Jenem dort!


Da ward Arbeit allein begehrt,
Von Menschen blieb ich abgekehrt,
Und Gottes Bild allein im Herzen,
Hab’ ich gethan dir manche Schmerzen,

25
Und Liebe dir verwehrt.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern. J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung, Tübingen 1813, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Deutscher_Dichterwald_085.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)