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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

und ich bitte Ihre Freunde, über mich und meine Villa nach Belieben zu verfügen!“

Er sagte das aus voller Ueberzeugung. Aus einem überaus gastfreien Hause stammend und in früheren Jahren selbst ein Freund geselligen Verkehrs, begrüßte er jetzt diese Nachricht mit doppelter Bereitwilligkeit; er freute sich wirklich, Gabriele einen Dienst erweisen zu können, und die Anwesenheit der Fremden überhob ihn außerdem der Verlegenheit des Alleinseins mit der jungen Frau, wovor ihm so bange gewesen war. Blieb auch die Art und Weise dieser „guten Bekannten“ etwas ungewöhnlich, so ohne weiteres einen Ueberfall in Scene zu setzen und Gabriele, die selbst Gast war, unangemeldet zu besuchen, so hieß es eben, dieses Impromptu mit guter Miene entgegenzunehmen, und Röder, auf der Flucht vor sich selbst und des naiven Glaubens, ein so äußerliches Mittel könne ihm und seinem aufrührerischen Herzen helfen, war ganz bereit, das zu thun. Daß Gabriele mehr niedergeschlagen als erfreut aussah, beachtete er in seinem Eifer kaum.

„Es ist doch viel verlangt,“ bemerkte sie mit einem schwachen Lächeln, „wenn ich auch Ihre Güte kenne –“

„Schon wieder meine ‚Güte‘! Ich möchte Ihnen gern das Wort ganz konfiszieren! Sie wissen doch: Die Freunde unsrer Freunde sind auch die unsrigen!“

„Nun, Freunde – das Wort paßt nicht recht – es sind gute Bekannte, die … Sie werden ja sehen!“

„Und es ist die höchste Zeit, daß ich sehe!“ fiel der Doktor ein und bot ihr den Arm. „Kommen Sie, Frau Gabriele! Ich hoffe, mein Mamsellchen wird bereits ihre Feldherrngabe entfaltet haben – ich muß doch aber selbst ein wenig zum Rechten schauen!“

Sie blickte schüchtern zu ihm auf. „Ich danke Ihnen!“ sagte sie leise.

Er wußte es selbst nicht, daß er den zarten Arm, der in dem seinen lag, leise an sich drückte und zärtlich auf Gabriele niedersah.

(Fortsetzung folgt.)




Trost.

So du ein bleiches Antlitz schaust,
Ein Aug’ voll schwerer Thränen:
Glaub’ nicht, daß du sie auferbaust
Mit leid’gem Wortedehnen.
Ob deine Zunge Glauben träuft,
Ob Weisheit, Herzensgüte –
Dein Trost ist Wind, der Blätter häuft,
Ist eine taube Blüte.

In tiefes Dickicht birgt das Wild,
In Dunkel seine Wunden,
In Höhlen kriecht’s, bis daß es gilt
Zu sterben, zu gesunden.
Der Qual wird Licht zum Dorngeflecht,
Und jeder Ton wird schrille –
Es hat der Schmerz ein heilig Recht
Auf Dunkel und auf Stille.

Das Feuer brennt, die Wange bleicht –
Du machst kein Herz genesen!
Ein Leid, das deinem Trostwort weicht,
Das ist kein Leid gewesen.
Das beste Wort klingt hart und schlecht,
Und ob’s die Liebsten sagen – –
Es hat der Schmerz ein heilig Recht,
Zu bluten und zu klagen.

Weißt du ein Teures schmerzdurchloht,
Nimm’s an dein Herz mit Schweigen;
Sanft über seine Herzensnot
Magst du dich traurig neigen;
Hüll’s ein wie Samt, so weich und still,
Mit Liebe, sonder Werben –
Und laß es, wie es muß und will:
Heilen oder verderben.  Victor Blüthgen.




Vor der Berufswahl.

Warnungen und Ratschläge für unsere Großen.
Die Lehrerin in Deutschland.

Heute noch über die Notwendigkeit der Anteilnahme der Frau an der Erziehung des weiblichen Geschlechts des Längeren und Breiteren zu schreiben, wäre ein unnützes Bemühen. Diese Notwendigkeit ist nicht nur von unseren ersten Pädagogen, sondern auch von den betreffenden Behörden wie von Laien im allgemeinen anerkannt worden. Nur Vorurteil oder Unkenntnis können sie noch bestreiten. Ihre Anerkennung hat denn auch die Zahl der Lehrerinnen in den letzten Jahrzehnten außerordentlich vermehrt.

Aus allen Gesellschaftsklassen wenden die jungen Mädchen sich dem Lehrberufe zu. Ist doch nach der Anschauung der Menge der Erwerb als Lehrerin der „anständigste“ – als ob nicht jeder Erwerb durch redliche Arbeit anständig wäre! – Dann bietet der Lehrberuf verhältnismäßig früh eine wenn auch oft recht kärgliche, so doch geregelte Einnahme und, freilich nur für die Lehrerinnen an öffentlichen Schulen, in den meisten deutschen Staaten sichere Bürgschaft für eine Altersversorgung. Diese Anschauung und der Ausblick auf die beiden Vorteile sind in den meisten Fällen ausschlaggebend bei der Wahl des Lehrberufes für die Tochter.

Die Folge davon ist, daß eine Menge ganz ungeeigneter Elemente in den Lehrerinnenstand gekommen ist und alljährlich kommt, deren Persönlichkeit so wenig wie ihre Leistungen den Anforderungen, die der Lehrberuf an seine Vertreter stellt, entsprechen. Diese Erscheinung kommt wohl auch in anderen Berufszweigen vor. Dabei aber dürfen wir uns nicht beruhigen. Denn die Ausübung des Lehrerinnenberufs ist zu wichtig für das Gesamtwohl der Gesellschaft: so lange unsere Töchter aller Gesellschaftsklassen nicht von tüchtigen Lehrerinnen zu ihrem natürlichen Beruf als Mutter und Hausfrau herangebildet werden – so lange ist nicht an eine Besserung vieler, lebhaft beklagter Uebelstände unserer Gesellschaft zu denken. Es sollte daher bei der Aufnahme in die Lehrerinnenbildungsanstalten, bei der Zulassung zu den Prüfungen und bei der Anstellung der Lehrerinnen durchaus eine gewissenhaftere Auswahl getroffen werden, als es bisher der Fall gewesen ist.

In erster Reihe aber sollen die Eltern ihre Töchter so wenig in den Lehrberuf hineinzwingen, als diese ihn ohne innere Neigung und ohne ganz entschiedene Begabung ergreifen sollten. Das Amt einer Lehrerin ist nicht und darf nicht eine Sinekure sein, in der man, ehe die Hoffnung auf Besseres sich erfüllt, die Zeit hinbringt mit dem Abmachen seiner wöchentlichen Pflichtstunden – sondern das Amt einer Lehrerin ist ein so hochwichtiges, daß nur gerade die Besten zur Ausübung desselben gut genug sind. Es erfordert einen ganzen Menschen mit frischer Lebenskraft, mit warmer Begeisterung und voller Hingabe an die ihm gestellte Aufgabe. Wer das Amt und dessen Aufgaben nicht so auffaßt, der soll davonbleiben, und wenn die geistige Begabung ihm auch noch so glänzende Examina verbürgt. Das Wissen allein macht es hier nicht, sondern vor allem das Können, die Kunst. Zur erfolgreichen Ausübung der Erziehungskunst aber gehört nebst dem Lehrtalent und der warmen Liebe für die anvertrauten jungen Seelen vor allem ein gesunder, widerstandsfähiger Körper. Die gewissenhaften Lehrerinnen wissen selbst am besten, wie empfindlich oft die Ausübung ihrer Pflichten durch eine schwache Gesundheit geschädigt wird. Nervenschwäche, Blutarmut, Bleichsucht, diese schlimmen Feinde alles guten Wollens und Könnens, stellen die Erfolge einer oft noch so treuen Arbeit in Frage, machen letztere wohl gar ganz erfolglos. Und welch’ ein Los wartet einer Lehrerin, wenn sie infolge von Kränklichkeit dienstunfähig geworden und wie leider noch immer die meisten in Deutschland wirkenden Lehrerinnen nicht pensionsberechtigt ist!

Die Wahl des Lehrberufs ohne Rücksicht auf die wirkliche und wahrhafte Befähigung zu demselben hat aber nicht nur ungeeignete Elemente in den Lehrerinnenstand geführt, sondern die Zahl der Lehrerinnen zu einer Höhe gesteigert, die mit der gegenwärtig möglichen Verwendung derselben in argem Mißverhältnis steht und die Aussicht auf Anstellung oder eine hinreichend gesicherte Einnahme zu einer sehr ungünstigen macht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_058.jpg&oldid=- (Version vom 11.6.2020)