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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

habe ich mir ein bescheidenes Eigenthum errungen, das just ausreicht, mein Leben auf eine bequeme Weise zu fristen. Ein Nothpfennig für die alten Tage ist auch schon angelegt, zwar klein noch, aber mit der Zeit wird schon mehr dazu kommen. Ich fühle mich glücklich, und wie die Sachen jetzt stehen, sehne ich mich nicht zurück nach der Heimath. Ich habe viel gesehen, viel erfahren, mich in Allem versucht und kenne Amerika durch und durch. Ich liebe dieses Land und bin stolz darauf, ein Bürger der Freistaaten zu sein, aber ich kenne auch dessen Schattenseiten und weiß, was gut und was schlecht daran ist. Es ist nicht Alles Gold, was glänzt.

Was ich erlebt und wie ich es angefangen habe, mir eine Existenz zu verschaffen, davon erzähle ich Dir ein ander Mal. Heute nur zur Beantwortung der übrigen Fragen Deines Briefes, des einzigen, den ich seit unserer Trennung empfangen. Du kündigst mir neue Auswanderer aus unserem engern Vaterlande an und fragst dabei nach unsern Landsleuten und wie sie leben hier, was sie treiben, nach ihrer Stellung den Eingebornen gegenüber u. a. m. Das sind viele Fragen auf ein Mal, die ich kaum in einem Briefe werde beantworten können.

Meinst Du die Stellung der Deutschen den übrigen nicht eingeborenen Amerikanern gegenüber, so kann ich Dir mit Stolz berichten, daß sie bei weitem am meisten von allen eingewanderten Völkern gelten. Ich verstehe darunter den einzelnen Deutschen, nicht die Deutschen als Volk. In dem einzelnen Deutschen achtet man den geschickten Handwerker, den fleißigen unverdrossenen Ackerbauer, überhaupt den genügsamen und dabei ehrlichen Arbeiter. Die neuere Zeit mit ihren Kämpfen hat uns aus Deutschland viel Intelligenz herübergesandt, die sich in den meisten Fällen rasch Bahn gebrochen und den Amerikanern den Glauben genommen hat, als bestände das deutsche Volk nur aus armen Bauern und Handwerkern, die zu Hause kein Brod haben. Deutschland ist durch diese sehr in der Achtung gestiegen. Die Deutschen als Volk bespöttelt, ja verachtet der Amerikaner noch, und weil sie auch hier mit allen Ansprüchen auf Selbstständigkeit und Macht doch nur zerstreute Massen ohne innere Gestaltung und Zusammenhalt bilden, so gelten sie im Verhältniß zu dem, was sie durch Zahl und Bildung gelten könnten, eben doch am wenigsten.

Ich wiederhole es, den einzelnen Deutschen achtet und liebt man. Der eingeborne Amerikaner fühlt recht wohl, daß der Deutsche durch Tüchtigkeit, Ehrlichkeit und wirkliche Kenntnisse bei Weitem über ihm steht, wenn er auch äußerlich weniger Abgeschliffenheit besitzt. Es imponirt dem Amerikaner, daß der Deutsche, in den meisten Fällen ohne alle Mittel, mit Verschmähung aller in Amerika erlaubten trügerischen Mittel doch bald zu einer gewissen Wohlhabenheit gelangt, die er stets gut und ohne Prellerei auszubeuten versteht. Und da der Amerikaner gar wohl weiß, wie schwer es in seinem Lande dem Mittellosen wird, ohne Schwindel und Betrug sich rasch ein Besitzthum zu erwerben, deshalb kann er auch dem Deutschen, der dieses Räthsel meist löst, seine Achtung nicht versagen.

Und sei versichert, mein lieber Bruder, das Loos eines Einwanderers ist anfangs nicht beneidenswerth. Es hat mich oft gejammert, wenn neue Schiffe aus Deutschland eingelaufen waren und die armen Leute nun truppweise auf den Hafenplätzen oder Straßen zusammenstanden. Man erkennt sie bald an den langen Röcken und kurzen Jacken, an den verlegenen neugierigen Blicken, aber noch öfter an ihrem krankhaften Aussehen. Von ihren Leiden, die sie unterwegs ausgestanden, könnte man Bücher füllen. Im zweiten Jahre meines Hierseins kamen circa 10,000 Deutsche in New-York an, davon mußten 400 sogleich in’s Krankenhaus geschafft werden, mehr als 100 waren unterwegs gestorben. Ein in Amerika erschienenes Buch erzählt, daß auf dem Schiffe Pontiac von 230 Auswanderern 40 schon unterwegs in’s Meer versenkt wurden, die übrigen traten an’s Land gleich Leichen, von Hunger, Schmutz und Schlägen entstellt. Von den 66 Deutschen dabei wurden 45 sogleich in’s Krankenhaus geschafft, einige starben, andere wurden wahnsinnig.

Durch die strenge Polizei, mit der neuerer Zeit sowohl in Deutschland wie hier die Auswanderungsschiffe überwacht werden, ist allerdings der Willkür der Schiffsagenten und Capitains ein Ziel gesetzt worden, trotzdem fallen bei der Ueberfahrt noch genug Nichtswürdigkeiten vor. Und mit der Ausschiffung hat leider die Noth dieser armen Leute noch nicht ein Ende. Glaube um Gottes Willen nicht, daß ich die Zustände schwärzer schildere, als sie sind, was ich Dir erzähle, ist leider nur zu wahr und Du wirst gut thun, Deinen Freunden, die hierher kommen, das Nöthige davon als Warnung mitzutheilen, damit sie nicht wie viele Andere durch ihre Unwissenheit und Leichtgläubigkeit in’s Unglück rennen.

Wenn sich der Ankommende an der Humanität der amerikanischen Zollbeamten erfreut hat, die gar auffallend gegen das barsche Benehmen der deutschen und englischen Douaniers absticht, so wird er gleich darauf völlig erschreckt durch die Masse lärmender und grüßender Landsleute, die bei der Ankunft vom Lande aus das Schiff überschwemmen. Das ist der Abschaum der Menschheit, der hier dem Auswanderer entgegentritt. Diese verhärteten Strolche, die zur Schande des deutschen Namens nur in der Absicht kommen, die auszuschiffenden Landsleute auf die nichtswürdigste Weise zu hintergehen und ihnen das Wenige, was sie mitgebracht haben, vollends abzunehmen, sind das Unglück vieler Deutschen. Mit der freundlichsten Miene stürzen sie den einwandernden Landsleuten entgegen, begrüßen sie auf das herzlichste, nennen sie bei Namen, den sie irgendwie erfahren, und wissen durch gute Rathschläge, durch Gefälligkeiten aller Art, ja oft sogar durch augenblickliche kleine Geldopfer das Vertrauen der Ankommenden, die froh sind, einen so guten gefälligen Menschen in der Fremde gefunden zu haben, so vollständig zu gewinnen, daß diese sich unbedingt dem guten Landsmann anvertrauen. Der neue Freund zeigt ihnen auch mit aller Gefälligkeit die Sehenswürdigkeiten der Stadt, verspricht für gute Weiterbeförderung der Effekten Sorge zu tragen und lockt die Arglosen unter Vorspiegelung billiger Wohnung in einen entlegenen Stadttheil, wo in irgend einer unbekannten Winkelkneipe das Geschäft geordnet und ein oder auch mehrere Gläser auf die glückliche Zukunft getrunken werden. Wenn dann der Einwanderer andern Morgens nach seinen lieben Landsmann fragt, ist dieser verschwunden und mit ihm seine Brieftasche und oft auch seine Effekten.

So von gewissenlosen Strauchdieben um Alles betrogen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_006.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)