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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

nächsten Freunde ein „Leben Fröbel’s“, es würde fürwahr ein herrliches Bibelbuch werden für alle kinderfreundlichen Herzen und Familien. Die wenigen Grundzüge, die ich Ihnen gab, mögen Ihnen aber wohl genügen zu fruchtbarem Nachdenken über den immer bedeutungsvollen, nie zufälligen Wechsel menschlicher Schicksale, und denken Sie dann auch daran, daß der fromme Fröbel selbst in solchem Sinne alle Ereignisse seines Lebens auffaßte. – Aber ich habe mir und wohl auch Ihnen noch nicht genug gethan. Ich muß Ihnen von Fröbel’s Person und Wesen selbst noch Einiges sagen, damit Sie ein möglichst charakteristisches Bild von ihm für Ihre Vorstellung gewinnen. Dann erst wollen wir von den Kindergärten sprechen.

Friedrich Fröbel zeigte dem Beobachter in seinem Wesen eine glückliche Vereinigung von Gegensätzen, durch welche er schon bei einer ersten Begegnung Aufmerksamkeit und bald erhöhte Theilnahme, selbst Bewunderung erregte. Ein Mann, dem Greisenalter nahe, bewegte er sich vor uns mit der Lebendigkeit und Unermüdlichkeit der Jugend; sein graues, doch volles Haar umkleidete ein Antlitz in der Frische, in den Farben und Zügen der Gesundheit und Kraft. Wir gedachten seines Alters und mahnten zu Schonung und Ruhe; aber der Sechziger wanderte munteren Geistes und ohne zu ermüden mit uns auf stundenweiten Spaziergängen, und daheim im freundschaftlichen oder wissenschaftlichen Wechselgespräch merkte er, daß längst schon die Nacht gekommen, erst dann, wenn seinen jüngeren Freunden die Augenlider schwer wurden. Und wollte einmal die Sprache, seine Bewegung uns die Macht des Alters verrathen, da sagte uns ein fester, geistvoller Blick seiner Augen, daß wir uns täuschten. Wohin immer wir staunend und prüfend den Blick lenkten, um jede Spur, um jede Linie, sahen wir, hatte der Geist mit der Gewalt der Zeit gekämpft und war Sieger geblieben. – Hatte uns zuerst die Jugendkraft bei den Jahren des Alters in Fröbel’s Erscheinung angenehm berührt und als erster Eindruck für ihn eingenommen, so überraschte uns nicht weniger die Art der Verschmelzung des Idealen mit dem Praktischen, die wir in ihm kennen lernten. Wenn wir Fröbel über Verfahren, Zweck und Wirkung seiner Erziehungsweise sprechen hörten, wenn wir ihn die seinen Absichten dienenden Erziehungs- und Unterrichtsmittel vor uns ausbreiten sahen und erläutern hörten, so bewältigte uns wohl der Glanz und die Summe seiner Gedanken und der zur Veranschaulichung vorgelegten Spielmittel und Arbeitsformen dergestalt, daß wir einige Zeit uns mühen mußten, um von stummer Verwunderung zu klarem Verständniß uns zu erheben. Und was war es denn, daß wir im ersten Augenblicke an uns selbst und an dem begeisterten Redner vor uns irre wurden?

Es war der Umstand, daß Fröbel das ganz Gewöhnliche, Altbekannte, an sich Geringfügige und Trockne auf eine uns völlig neue Weise zu geistiger Bedeutung erhob, daß er herrliche Ideen, inhaltreiche Gedanken auf dem kürzesten Wege und durch die einfachsten Mittel, welche erdacht werden können, uns veranschaulichte. Papierstreifen, Holzspähne, Fruchtkerne wurden in seiner Hand zu heiteren Bildern, und spröde geometrische Formen zwang er, daß sie durch Schönheit uns über ihren Charakter täuschten. Wenige Striche, und wir übersahen ein eben so sinnreiches, als leicht faßliches Zeichensystem; ein kurzes Spiel mit Würfel oder Ball, und wir erfreuten uns der Einsicht in einen mathematischen Lehrsatz, mit dem wir seit den Schuljahren nicht einig werden konnten. Dies Alles sahen wir vor unseren Augen geschehen und diese Wunder deutete uns das nicht weniger wunderbare Wort des Lehrers. Wir glaubten nicht recht zu sehen, nicht recht zu hören, es war ja gar nicht möglich, daß mit all diesen unscheinbaren Dingen Etwas von Bedeutung und Werth gelehrt oder geschaffen werden konnte! Und indem wir noch mit dem eigenen Widerstreben kämpften, überraschte uns die Erkenntniß und mit der Befriedigung und Freude, welche der Aufschluß über eine Wahrheit gewährt, wendeten wir uns bewundernd und dankend an den Mann, dessen vor Kurzem noch unerkannte Geheimnisse uns so peinliche Zweifel verursacht hatten. Da hatten wir schulgerechten Köpfe unsere verdiente Strafe, oder vielmehr wir duldeten sie für die, welche sie verdient hatten. Unsere in der Schulstube blöd gewordenen Sinne sahen den Wald vor Bäumen nicht, erkannten nicht die Einfachheit und Schönheit der Natur und des Natürlichen.

Aber so wohlthuend auch die eben geschilderten Eigenthümlichkeiten in Fröbel’s Wesen auf uns einwirken mochten, dennoch würden sie nicht genügt haben, unsere Aufmerksamkeit für immer zu beschäftigen, unsere Neigung dauernd zu fesseln. Aber ich sah ihn mit meinen Freunden auch in der Ausübung seines Berufs – und hier wurden wir wahrhaft von ihm erbaut. Fröbel hat seinen Beruf als Erzieher in voller Uebereinstimmung mit den Neigungen und Bedürfnissen seines Herzens und mit den Fähigkeiten seines Geistes gewählt. In diesem Bekenntniß hat sich gewiß Jeder gedrungen gefühlt, der auch nur einmal Fröbel unter Kindern gesehen hat. Fröbel im Kindergarten, im Kreise seiner kleinen Zöglinge war ein Zauberer an sich selbst und an den Kindern. Wer ihn sah, mußte staunend sich fragen, wohin sind die Jahre, wohin die Bürde des Körpers, die Last der ernsten Erfahrungen, der bittern Sorgen und Kämpfe eines halben Jahrhunderts? Wenn er mit den Kindern spielte, wenn seine hohe Gestalt unter der zwergigen Enkelwelt mit der Spannkraft der Jugend sich neigte und beugte, wenn er mit kräftiger Stimme ihre Gesänge leitete, mit ihnen lachte und scherzte und im Ausdruck herzlichster Freude von keinem seiner kleinen Freunde sich übertreffen ließ; und wieder, wenn er den überlauten Jubel stillte, die schnell beruhigte Schaar im Kreise um sich versammelte und den gespannt Lauschenden Geschichtchen erzählte vom heitern Leben in der Natur, von guten und schlimmen Kindern, von Mutter und Vater, von Aeltern- und Kindesliebe, und wenn er ihnen ein Lied lehrte von der Liebe und Güte des unsichtbaren Vaters; – wer hätte von solchem Anblicke nicht tief gerührt und erbaut, wer nicht bewundernd bekennen sollen, daß nur dem reinsten menschlichen Wohlwollen, der Alles mit empfindenden, Alles belebenden und beglückenden Liebe, nur einem für die zartesten Regungen des kindlichen Gemüths empfindsamen Herzen solche Leistungen gelingen, solche Opfer möglich werden können? Es giebt nur Eins, was größer ist und dennoch weniger bewundernswürdig als Fröbel’s kinderbeseligendes Herz: es ist die Mutterliebe; aber tausend, tausend Mütter sind ärmer an Liebe als Er war. Unter Allen, die aufmerksame Zeugen und Beobachter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_060.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)