Seite:Die Gartenlaube (1853) 076.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

wäre ihre äußere Erscheinung nicht so ungemein friedlich gewesen, ich hätte sie wohl, in dem Düster aus dem sie vortauchten, für ein paar böse Geister halten mögen, die mich zu irgend einem Hexentanz abzuholen kämen. - Aber Gott bewahre!

Es war ein alter würdiger Quäker, der eine Laterne an dem einen und eine Dame an dem andern Arm hängen hatte, so daß seine Lasten, obgleich er doppelt trug, beide leicht waren. Sobald sie den Platz erreichten wo ich stand, hob der Quäker seine Laterne zu meinem Angesicht auf und betrachtete sich dieses, wenige Secunden, aufmerksam.

Ich fing schon an zu fürchten, daß es möglicher Weise ein Policeiofficiant sein möchte, der sich irgendwo einen Canditaten für die Tretmühle aufgelesen habe, und nun einen Begleiter für diesen suche. Es war dies aber ein ungerechter Verdacht, denn der würdige Obadiah studirte nur Physiognomie und als er sich von der Ehrlichkeit meiner Gesichtszüge überzeugt hatte, sagte er: „Bitte Freund, möchte es Dir wohl gefallen den Schutz einer Dame zu übernehmen?“ Was für eine Frage, noch nie hat wohl mein ganzes Nervensystem einen so plötzlichen und unerwarteten Stoß bekommen. Nicht etwa daß etwas Beunruhigendes, Gefährliches in der Frage gelegen hätte, nein wahrhaftig nicht, aber es kam so plötzlich, so direct, so unerwartet, den Schutz einer Dame übernehmen? lieber Gott, ich war seit Jahren ein Canditat eben dieses selben Ehrenpostens, aber noch nie so glücklich gewesen eine zu finden, die sich demselben anvertrauen wollte. Uebrigens gab es keine willigere Seele dazu auf der weiten Welt und jetzt gerade, wo ich es am allerwenigsten erwartet hatte, kam eine holde Freiwillige, sich mir gewissermaßen mit dem Segen des Vaters, in die Arme zu werfen. Ich gedachte in der That in dem Augenblick an das Land, wo die kleinen Schweinchen gebraten herumlaufen und rufen - wer will mich essen? und an Aladdins[WS 1] Lampe - ja ich wußte in dem Augenblick kaum, ob ich nicht zufälliger Weise vielleicht irgendwo einen geheimen Talisman berührt habe, der diese substantielle Personificirung meiner Tagträume heraufbeschworen hatte.

Da stand aber Obadiah, über dessen Sterblichkeit kein Zweifel herrschen konnte, und hier war auch der Koffer der Dame, kein imaginärer Koffer, sondern ein breites geräumiges Meubel, das bald freundlich seinen Platz neben dem meinigen einnehmen sollte. Welch ein Preis für einen reisenden Junggesellen, eine Dame schon eingeschrieben und wohlverwahrt mit Koffer gepackt und Passage bezahlt, aber ach, es ist ja nur für kurze Zeit, nachher übernimmt wieder ein Glücklicher den Schutz der Dame und ich kann in einzelner Trostlosigkeit weiter ziehen.

Diese Gedanken zuckten mir, während einer Pause die der Quäker in seiner Rede machte, wie Blitze durch’s Hirn und ehe ich nur etwas auf seine erste Aufforderung erwiedern konnte, fuhr er fort: „Meine Tochter hat gerade von dem Unwohlsein ihres Gatten, Capitain Johnson von den Scharfschützen gehört, und wünscht heute nach Baltimore zu fahren, ihn dort zu treffen. Das Eis hat die Dampfbootfahrt unterbrochen und sie muß zu Lande gehen“.

Glücklicher Weise hatte ich mich bis dahin von der ersten Ueberraschung wenigstens so weit erholt, daß ich ihm antworten konnte, es würde mir sehr viel Vergnügen machen, Mrs. Johnson jeden nur möglichen Dienst unterwegs zu leisten, und ich sprach mit wirklicher Aufrichtigkeit, denn jedes ritterliche Gefühl meiner Brust regte sich zu Gunsten dieser jungen schüchternen und jedenfalls schönen Dame, die auf den Flügeln der Liebe dem Krankenbett eines theuern Gatten entgegenflog. Ich war ordentlich stolz darauf meinen Schutz einem solchen Muster ehelicher Zärtlichkeit gewähren zu können, und dem würdigen Obadiah meine Hand reichend, fügte ich hinzu: „Ich danke Ihnen, mein Herr, für diesen Beweis von Vertrauen und werde Alles thun was in meinen Kräften steht, Madame Johnson’s Reise sicher, wenn nicht angenehm zu machen.“

Ein herzliches „Danke Dir Freund, ich dachte mir das Deinem Gesicht nach“, war die ganze Antwort, die Kutsche aber, so weit in Stand gesetzt, wartete auf uns, wir stiegen ein und fort ging’s.

Als der Wagen über das Pflaster rasselte, kehrten meine Gedanken natürlich zu meiner schönen Schutzbefohlenen zurück. - „Ach“ dachte ich, „was für ein glücklicher Mensch doch dieser Capitain Johnson von den Scharfschützen ist, er hat das große Loos in der Lebenslotterie gezogen, welch’ seliges Gefühl muß es sein, solch ein treues besorgtes Weib zu haben. Hier saß ich dagegen, ein einsamer Junggesell, ja vielleicht zu ewiger Junggesellenschaft verdammt, wie waren unsere beiden Schicksale doch himmelweit von einander verschieden, und wie zu meinem Nachtheil; wurd’ ich krank, flog da solch ein Engel an die Seite meines Bettes mich zu trösten und mir zu helfen? Es fiel keinem ein, ich konnte liegen so lange ich wollte, ja und sterben, ehe sich eine von ihnen um mich bekümmert hätte. Aber dieser glückliche Johnson steht kaum auf der Krankenliste, als auch schon seine liebenswürdige Gattin ihr väterliches Dach verläßt, sich dem ersten besten Fremden anvertraut, ja ihr Leben in diese holprigen Postkutschen, ihre Gesundheit in der Nachtluft wagt und an die Seite des Invaliden fliegt.“

„Ich möchte wissen was ihm eigentlich fehlt,“ simulirte ich weiter, „Influenza vielleicht, scheint ja auch jetzt eine Modekrankheit. Krankheit überhaupt ist meist ein unwillkommner, ja oft bedenklicher Gast; er bringt stets den Doktor mit seinen schrecklichen Recepten und schrecklicheren Rechnungen und öffnet auch manchmal des Dokters Nachfolge im Dienst, dem Tod, die Thür. Krankheit aber, wenn sie ein geliebtes Weib an unsere Seite zurückruft, uns ihre Liebe, ihren Muth bewährt, und ihre leichte Hand unsere Schmerzen zu lindern vermag, o Krankheit selber muß unter solchen Verhältnissen jenem glücklichen Capitain Johnson von den Scharfschützen willkommen sein!“

„Armer Teufel, am Ende ist er aber sehr krank, liegt vielleicht gar im Sterben, dann würde die Dame hier eine Wittwe, und eine Capitainsstelle offen in der Compagnie, merkwürdig, daß ich nie von ihm gehört habe, - Johnson - Johnson - ich kenne doch sonst fast alle Officiere - was für eine Art Mann es nur sein mag - ein famoses Regiment das - das Scharfschützencorps - hat sich vortrefflich[WS 2] im letzten Kriege gehalten - meist lauter Leute aus dem Westen - gute Schützen, die ein Eichhörnchen vom Baum mit der Kugel herunterholen und das Auge eines Grenadiers trafen. War gewiß ein Backwoodsman, sechs Fuß sechs Zoll[WS 3] mit rothem Backenbart und Adleraugen. Seine Uniform wird ihr Herz wohl gewonnen haben, die holden Wesen leiden einmal an

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Aladdius
  2. Vorlage: vor trefflich
  3. 1,98 m
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_076.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)