Seite:Die Gartenlaube (1853) 077.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

einem Vorurtheil für Uniformen. Die Dame hat auch wohl gethan unter dies Regiment zu gehen, sie ist sicherlich selber ein Scharfschütze und konnte sich, wenn sie Lust hatte, irgend einen Officier auf’s Korn nehmen und herausholen. Was für ein Auge sie haben muß, hol’ der Henker doch Capitain Johnson, was den hier mit seinem Schwarz und Grün nach Philadelphia zwischen die Quäkermädchen bringen muß; weshalb können sich die Scharfschützen-Officiere nicht ihre Frauen anderswo aufsuchen, daß sie hier andern Leuten in die Reviere pirschen müssen, oder wenn denn Philadelphia solcher Art heimgesucht werden mußte, warum konnte ich da nicht Capitain Johnson sein?“

Wenn ein Mann über etwas anfängt nachzudenken, wo er überhaupt Nichts davon weiß, so findet er kein Ende, denn seine Gedanken, die keine ordentliche Straße haben, auf der sie fortmarschiren können, schießen links und rechts in alle Nebenpfade aus. So kam ich von dem Capitain auf die Frau, von der Frau auf den Vater. „Was für eine ehrliche, vertrauungsvolle Seele dieser Obadiah sein muß,“ fuhr ich zu mir selber fort, „seine Tochter, vielleicht sein einziges Kind, dem Schutz eines vollkommen fremden Mannes zu übergeben. Er ist jedenfalls ein Physionomist und ich trage diese beste aller Empfehlungen, ein gutes Gesicht. Vielleicht ist er auch Phrenolog, das kann aber kaum sein, denn meine „bumps“ für gut oder böse waren sämmtlich dicht eingewickelt. Der gute Mann hätte aber doch bei alle dem einen entsetzlichen Mißgriff machen können, ich konnte eben so gut ein Vagabund als ein Senator, ein Gesandter oder ein Taschendieb, ja Rowland Stevenson oder Washington Irving sein, oder Sir Humphrey Dery oder, ja der ewige Jude, wußte er ob ich ein Vampyr oder ein Bauchredner war? ja ich konnte selbst Cooper, der Romanschreiber sein, auch er ist manchmal ein „wandernder Junggeselle.“ Ich konnte Capitain Symmes sein, der gerade nach dem Mittelpunkt der Welt wollte, ja ich konnte Miß Wright - nein Miß Wright konnte ich allerdings nicht sein, und wenn ich’s gewesen, wäre es wohl Niemandem eingefallen, eine junge Dame unter den Schutz von Miß Wright zu stellen, da Miß Wright ja der Meinung ist, daß sich junge Damen selber schützen können. Aber wie konnte Obadiah wissen, ob ich nicht vielleicht gar der Präsident der Vereinigten Staaten sei, und wie hätte die oberste Gerichtsperson so vieler souverainen Republiken aufhorchen sollen, wenn sie Jemand gefragt hätte: „Bitte Freund, möchte es Dir wohl gefallen den Schutz einer Dame zu übernehmen?“

Der Leser darf aber nicht glauben, daß ich diese Selbstgespräche auf Kosten der Artigkeit gegen die Dame hielt. Nicht im mindesten, es war überhaupt noch viel zu früh am Tage eine Dame in ihren Betrachtungen zu stören. Ueberdies nahmen alle diese Gedanken, die hier auf dem Papier voluminös genug aussehen nur wenige Minuten für sich selber in Anspruch, denn selbst Perkins hat noch nie eine Dampfkraft geschaffen, die halb so mächtig wäre, als das menschliche Gehirn. Endlich brach aber der Tag an, und damit hielt ich es auch zugleich für passend, unser bisheriges Stillschweigen zu brechen.

„Das ist ein unfreundlicher Morgen, Madame,“ sagte ich.

„Sehr unfreundlich,“ sagte sie, und unsere Unterhaltung war kurz abgeknickt.

„Die Straßen scheinen in bösem Zustand“ bemerkte ich, mit einem neuen Anlauf.

„Sehr böse“ erwiederte die Dame.

Wieder ein Ende zu jedem Gespräch.

„Sind Sie schon früher in einer Postkutsche gefahren?“ frug ich wieder.

„Ja.“ -

„Aber vielleicht nie eine so weite Strecke?“

„Nein - nie so weit.“

Es war wieder rein alle.

Aha, dachte ich, die Dame ist ein Blaustrumpf und lacht jetzt hinter ihrem Schleier über deine faden Alltagsphrasen, ich muß andere Saiten aufziehn, und als der Wagen über die Schuylkillbrücke rollte, sagte ich:

„Wir haben den Rubicon überschritten, und ich hoffe, daß wir nicht, wie der römische Eroberer unsere Kühnheit zu bereuen haben. Der Tag verspricht schön zu werden, und unsere Omen sind alle günstig.“

„Was sagten Sie von Herrn Rubikom?“ frug Madame Johnson.

Ich wiederholte es, und die Dame erwiederte:

„O ja, das ist wohl möglich,“ und damit war ich wieder fertig. Jetzt dacht’ ich aber bei mir selber, wenn die Dame nicht reden will, so erfordert es die Höflichkeit, daß ich ebenfalls schweige, und die nächste Stunde hindurch wurde kein Wort gesprochen.

Ich war aber indessen auch einmal im Stande gewesen, einen Blick auf die Züge meiner schönen Begleiterin zu werfen, und ich muß aufrichtig gestehen, sie kamen mir nicht so vollkommen schön vor, wie ich sie mir im Anfang gedacht hatte. Ihr Teint ließ etwas zu wünschen übrig, ihre Auge war nicht schwärmerisch, ihre Nase nicht wie ich sie an einer griechischen Statue wünschen würde, und ihre Lippen schienen mir etwas blaß und dünn. Ich machte diese Beobachtungen aber nur unter Furcht und Zittern, denn die Dame begegnete meinem forschenden Blick mit einem solchen herausfordernden Trotz, daß ich meine Augen rasch wieder niederschlug. Hu! dachte ich dabei so zu mir selber, das war ein ächter Scharfschützencapitainsblick - glücklicher Mann, dessen Weib den Stolz und Muth eines Kriegers eingesogen, und mit einem einzigen Zornesblick im Stande ist zudringliche Neugier zurückzuweisen.

Beim Frühstück entwickelte sich ihr Charakter aber etwas deutlicher - wenn ihre Zunge vorher auf Urlaub gewesen, so fand sie sich jetzt wieder zu aktivem Dienst zurückgerufen. Sie schien überzeugt, daß im Hause nichts Ordentliches zu essen, und empört, daß der Wirth ein Deutscher war.

„Wie heißt Ihr?“ frug sie die Wirthin.

„Rothkalb, Ma’am.“

„Oh, schrecklich, - seid Ihr das, von denen das Berpetuummofile ist?“

„Nein, Ma’am.“

Dann setzte sie sich zu Tische und rümpfte ihr niedliches Näschen gegen Alles was darauf stand. Die Butter war zu streng, der Thee zu schwach, das Brod zu hart, der Speck zu weich, der Pfannkuchen zu schwer.

„Möchten Sie nicht eins dieser Eier versuchen?“ frug ich.

„Ich mag keine Eier.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_077.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)