Seite:Die Gartenlaube (1853) 082.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

wie so viele fürchten, die Kinder dem Aelternhause. Es war ja vielmehr Fröbel’s Absicht, den Kindern Alles, was das Haus Liebes und Freundliches hat nur noch angenehmer und lieber zu machen, dadurch, daß er es ihnen besser kennen lehrte. In der Kindergärtnerin giebt er den Kleinen eine andre freundliche Mutter, in den Spielgenossen viele liebe Brüder und Schwestern. Den im Hause verlassenen Ball, die Baukästen und Bilderbücher läßt er sie hier wiederfinden. Geschichtchen und Lieder, Blumen und Gartenspiele, Alles was im Hause sie glücklich macht oder machen könnte, der Kindergarten hat es in reicher Fülle. Durch dieses innige Anschließen an die gewohnten freundlichen Formen des Familienlebens verschwindet für das Gefühl der Kinder jeder Gegensatz; die aber in ihren Familien minder Glücklichen erkennen in der Freude des Kindergartens ein Geschenk von Vater und Mutter, das ihre Liebe zu Beiden erhöht.

Blicken wir jetzt zuerst auf die körperliche Pflege und Erziehung des Kindergartens. Der Leib steht in der innigsten Beziehung zu dem Geiste des Menschen. Seine Gesundheit, seine Kraft und Geschicklichkeit sind nothwendige Vorbedingungen eines gesetzmäßigen, gedeihlichen Geisteslebens. In dieser Bedeutung für den Geist erfaßt der Kindergarten den Leib des Menschen, und seine Erziehung ist darauf gerichtet, daß für alle seine Zöglinge die genannten Vorbedingungen erreicht werden. Im Kindergarten wird daher nicht blos darauf gesehen, daß die Kinder an ihrer Gesundheit keinen Schaden leiden, in Hinsicht auf Nahrung und Bewegung keine Fehler begehen; sondern sie werden auch zu bestimmten Körperübungen angeleitet. Diese Uebungen kräftigen den Körper in allen seinen Theilen und tragen so wesentlich zu Erhaltung der Gesundheit bei; sie aber haben auch den weiteren sehr wichtigen Zweck und Erfolg, daß sie dem Geiste frühzeitig die Herrschaft über den Körper gewinnen. Von welcher Bedeutung ist dies für das spätere Berufsleben und die Sittlichkeit! Die Uebungen, durch welche diese Absichten erreicht werden, bestehen einestheils in freien Ball- und Bewegungsspielen, anderntheils in geordneten turnerischen Bewegungen. Der Kindergarten ist kein Turnplatz; die Uebungen die hier ausgeführt werden, sind die Elemente, das A B C der Turnkunst und bezwecken eine leichte, gewandte Ausführung derjenigen Bewegungen, zu denen der Körper ohne Unterstützung äußerer Mittel (sogenanntes Turngeräth), und nur durch die geistige Kraft des Willens veranlaßt werden kann. Zum wahren Glücke für unsere Kinder werden der ängstlichen Gemüther, die das Gängelband allenthalben der freien rüstigen Bewegung der Kleinen vorziehen, jetzt immer weniger und das Wort erfahrener Lehrer und Aerzte finden Gehör und Beifall, daß eine schon frühzeitig gewonnene Kraft und Gewandtheit des Körpers das Kind vor vielen Gefahren schützt, denen träge, linkische und schwächliche Kinder nur zu oft unterliegen. Endlich aber haben diese körperlichen Uebungen noch einen entschieden günstigen Einfluß auf das Gemüth und die Bildung des Charakters der Kinder. Die Bewegung und erhöhte Thätigkeit aller Lebensfunktionen giebt dem Kinde das Vollgefühl des Lebens und der Gesundheit. Dieses Gefühl giebt sich aber geistig als Heiterkeit und Frohsinn, als Muth, Arbeitslust und Zufriedenheit zu erkennen. Welche Seelenstimmungen könnten wohl eine bessere Stütze der Kindesunschuld sein und den Erzieher bei Anleitung der Kinder zum Guten wirksamer unterstützen? –

Ich komme zu der sittlich-religiösen Erziehung des Kindergartens. Sittlichkeit und Religiosität des Menschen beruhen wesentlich auf der ersten erziehenden Pflege des Gemüths und für diese gerade besitzt der Kindergarten die herrlichsten, die wirksamsten Mittel, und solche die selbst in der besten Familienerziehung nicht oder mindestens nicht mit gleich günstigem Erfolge angewendet werden können. Um sogleich an das Vorige anzuknüpfen, so haben die geordneten Leibesübungen auch eine sittlich - bildende Wirkung. Ueberall , wo wie bei diesen Uebungen eine Mehrzahl nach einer und derselben Vorschrift für einen und denselben Zweck gemeinschaftlich thätig ist, bildet sich, – eine vernünftige Leitung vorausgesetzt, – der Geist der Ordnung, des Gehorsames und freier Unterordnung von selbst aus. Sein Wirken ist eine nothwendige Vorbedingung für Erreichung des Zwecks der unternommenen Thätigkeit. Dieser Geist, in den Kindern frühzeitig geweckt und immer nur nach dem Rechten, Wahren, Guten gerichtet, wird zu einer Quelle aller geselligen und bürgerlichen Tugenden werden, die vom einzelnen Menschen die freie Unterordnung seines Willens und seiner Interessen unter die höhereu Zwecke, Rechte und Interessen eines Ganzen, einer Gesammtheit, fordern.

Eine mehr directe Anregung empfangen die sittlichen und religiösen Grundkräfte des kindlichen Gemüths im Kindergarten durch die im Umgange vorkommenden verschiedenen Berührungen und Beziehungen. Die Kindergärtnerin hat hier von Fröbel eine doppelte Aufgabe zugewiesen erhalten. Sie muß als Stellvertreterin der Mutter ihrem persönlichen Umgange mit den Kindern immer einen erziehenden Charakter erhalten; sie hat aber auch den Verkehr der Kleinen unter sich in diesem Sinne zu überwachen und zu leiten. Die Zwecke der Erziehung werden im Kreise einer größern Anzahl von Kindern immer leichter und in vollkommeneren Grade sich erreichen lassen, als im Verkehre mit nur einem oder wenigen Kindern. Ein Kind ist des andern Lehrer; hierin liegt der große Vorzug der gemeinschaftlichen vor der Einzelerziehung im Hause. Der Nachahmungstrieb, später die Nacheiferung, wie man bei Kindern den Ehrgeiz nennen mag, wirken unmittelbar und kräftig auf die Entwicklung ein. Freilich führt der Nachahmungstrieb die Kinder ebenso leicht zur Aneignung schlimmer wie guter Gewohnheiten und Sitten; aber diese Abweichung zu verhindern, der Nachahmung immer das rechte Ziel zuzuweisen, ist eben Aufgabe und Sorge der Kindergärtnerin. So bietet in dieser Richtung der Kindergarten alle Vortheile der gemeinschaftlichen Erziehung, ohne die Furcht zu erwecken, daß diese durch gleich viele Nachtheile wieder aufgehoben werde.

Die Eindrücke, welche die Kinder hier im Umgange nur Geist und Gemüth empfangen, sind eine Erziehung durch das lebendige Beispiel. Fehlt es hierbei auch von Seiten der Kindergärtnerin nicht an ermunternden und strafenden Worten, an Vorstellungen und Ermahnungen, so werden die Kinder hierdurch doch noch nicht zu einer reiferen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_082.jpg&oldid=- (Version vom 9.10.2018)