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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Abgabe von irgend wunderthätigen Pillen oder Pulvern an die Bewohner seines Geburtsortes und der Umgegend testirt und das Recept dazu dem jedesmaligen Pastor loci zur Bereitung übergeben; der Pfarrerssohn hatte nicht etwa ein hübsches Kapital ausgesetzt, von dessen Interessen alljährlich den Schulkindern Bibeln, Lesebücher, Schreibpapier, Federn und Bleistifte verabreicht wurden; der Lebemann hatte vielmehr durch ein bedeutendes Legat dafür gesorgt, daß die Leute ein paar Tage fröhlich, recht fröhlich sein sollten. Seine testamentarische Bestimmung lautete nämlich, daß der Pfarrer die Zinsen des eisernen Kapitals beziehen und dafür gehalten sein solle, jedes Jahr den ersten Tag der Kirmeß vom Schluß der Kirche bis Nacht zwölf Uhr Jedermann, weß Standes, Alters und Geschlechts er auch sei, mit gutem Kuchen und Bier, so viel der Gast essen und trinken wolle, zu traktiren. Es war genau angegeben, was der Testator unter gutem Kuchen und gutem Bier verstanden wissen wollte, und Schultheiß und Gemeindeschöppen waren bestellt, die Qualität der benannten Lebensmittel und die Bewirthung von Seiten des Pfarrers zu controliren. Im Fall dieser nach dreimaliger Erinnerung und gerichtlichem Entscheid es an Etwas fehlen lasse, sollten die Zinsen des Kapitals zu Gemeindebestem verwendet werden. Natürlich hüteten sich die Pfarrer wohl die Unzufriedenheit ihrer Kirmeßgäste zu erregen; denn so viel Kuchen und Bier auch an diesem Tage verzehrt werden mochten, so blieb doch noch eine sehr erkleckliche Summe von den Zinsen zu ihrer eigenen Kirmeßfreude übrig, die – und das war das Schönste an der Sache – das ganze Jahr hindurch dauerte.

Gegen Ende der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts war ein sehr jovialer Mann minister sacri officii in Seebach, ein geistig Verwandter des würdigen Testators und deshalb vor all seinen Vorgängern im Amte befähigt den wahren Sinn des Legats zu begreifen und zu verwirklichen, nämlich seine Gäste froh und glücklich zu machen. Der Pfarrer Kurts war weder ein Pietist, noch ein Mystiker, weder ein Freigeist noch ein speculativer Philosoph; er war ein tüchtiger poetischer Mensch mit manchen Ecken und Eigenthümlichkeiten und ein liebenswürdiger Gesellschafter, der keinen Spaß verdarb. Auffallender Weise hatte er den zweiten Theil des Gebots: „Ein Priester soll unsträflich sein, eines Weibes Mann,“ nicht erfüllt; er war unverheirathet. Bald nach dem Antritt seines Amtes hatte er an seiner verlobten Braut noch zur rechten Zeit eine schreckliche Entdeckung gemacht; seit jener Zeit konnte er ein menschliches Wesen generis feminini nicht wohl um sich leiden, so höflich und freundlich er sonst auch die Frauen behandelte, sich in Gesellschaft mit ihnen unterhielt und sogar mit ihnen scherzte. Seine Bedienung bestand aus einem willigen und gelehrigen Bauernburschen, der allmälig alle weiblichen Hausarbeiten verrichten gelernt hatte und mit der Zeit sogar ein guter Koch geworden war. Der Pfarrer lernte mit dem Burschen, und beide arbeiteten in Haus, Stall und Feld oft gemeinschaftlich. Die Sache wäre auch recht gut gegangen. denn die beiden Wirthschafter hatten doch das ganze Jahr hindurch – einen Tag ausgenommen – nur für sich selbst zu sorgen, und wie sie’s trieben und ausrichteten, so hatten sie’s selbst zu genießen. Aber gerade dieser eine Tag, dieser Pfarrkirmeßtag verrückte ihnen das Concept. Da mußten viele, sehr viele Kuchen gebacken und sehr viel Bier gebraut werden, und der Pfarrer machte einen Ehrenpunkt daraus, daß beides vortrefflich sei. Anfangs behalf er sich mit einer ledigen Schwester, dann mit einer andern Verwandten, weiter mit einer Fremden; er hatte nur Aerger und Verdruß davon. Dies brachte ihn endlich auf den Gedanken die Bäckerei und Brauerei mit seinem Christian selbst in die Hand zu nehmen und zu betreiben, wie seine übrige Wirthschaft. Gedacht gethan! Der erste Versuch fiel über alle Erwartung glücklich aus, und als der geistliche Herr einmal eingesehen hatte, daß Kuchenbacken und Bierbrauen so wenig ein Hexenwerk sei, wie ein Gemüße kochen, einen Braten braten oder ein Kind taufen, ein Brautpaar copuliren und das Sonntagsevangelium in der Predigt auslegen, so folgten dem ersten Schritt auf der neuen Bahn bald andere, und an der nächsten Kirmeß konnte der Herr Pastor seine Gäste mit vorzüglich delikatem Kuchen, den er selbst zubereitet und gebacken, und mit einem feinen Biere, das er selbst gebraut, bewirthen. Dieser Umstand, der natürlich nicht verschwiegen blieb, lockte in den folgenden Jahren immer mehr „Zuspruch“ in das „Seewicher“ Pfarrhaus; denn jedermann in der Umgegend wollte des Pfarrers „guten“ Kuchen und „gutes“ Bier kosten, und der Pfarrkirmeßtag wurde jedes Jahr mehr ein Freudenfest, an welchem sich Hunderte aus der Umgegend betheiligten. Der Pfarrer wäre endlich in Gefahr gekommen, die ganzen Interessen des Kapitals zu verbacken und zu verbrauen, ja wohl gar noch von seiner eigentlichen Besoldung drauf zu legen, wenn ihm aus der Sache selbst nicht eine neue und für einen Seelsorger allerdings eigenthümliche Erwerbsquelle entsprungen wäre. Ehrn Kurts fand nämlich je mehr er buk und je besser ihm das Backen gelang, desto größeres Wohlgefallen an dieser zweifelsohne freundlichen und angenehmen Beschäftigung. Aus Büchern konnte er sich gerade nicht sonderlich viel machen; er hatte noch vom Gymnasium her eine Art Widerwillen gegen sie, und viel Studiren machte ihm stets Kopfweh, er extemporirte deshalb alle seine Predigten. Mit seiner kleinen Land- und Hauswirthschaft war er bald fertig. Da wurde ihm denn das Backen zum schönsten Zeitvertreib und gar bald zur Leidenschaft. Anfangs trat der Befriedigung derselben ein großes Hinderniß entgegen. Was sollte er mit all’ dem Kuchen und andern feinen Backwaaren anfangen? Er konnte doch nicht Alles, war er Jahr ein Jahr aus buk bis zur Kirmeß aufheben! Er konnte doch nicht alle Woche einmal Kirmeß halten! Christian’s Genie besiegte dieses Hindernis. Der brave Knecht hatte nämlich eine Schwester in Eisenach an einen Handarbeiter verheirathet. Die wohnte draußen in der Vorstadt Ehrensteig und war eine Obsthökerin. Als Victualienhändlerin durfte sie auch mit Backwerk handeln. Ihr wurden die schmackhaften Erzeugnisse des theologischen Backtroges in Commission gegeben, und die betriebsame Frau machte bald glänzende Geschäfte damit. Sie vertrieb die Butterkräpfel und Zuckerbrezeln sowohl in der Stadt, als auch in der Ruhl mit gutem Gewinn und trug dafür jede Woche schönes Geld in die „Seewicher“ Pfarre. Geld bringt Muth; guter Erfolg feuert an. Der Pfarrer machte Fortschritte in der Kunst; er buk Pfeffernüsse, Pfefferscheiben, Honig- und Lebkuchen trotz einem braunschweiger Bäcker, und die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_088.jpg&oldid=- (Version vom 12.11.2017)