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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Nachfrage stieg. Andre Hökerinnen hatten das Geheimniß bald ausgewittert und bestürmten den fleißigen Pfarrer. Nach ein paar Jahren war er der vollendetste Kuchenbäcker, und seine süße Waare die gesuchteste in einem gar nicht unbedeutenden Umkreise. Zu Weihnachten konnte er nicht genug arbeiten, um alle Bestellungen zu befriedigen, und sein Backofen war Tag und Nacht geheizt. Des Pfarrers Fleiß belohnte sich; er wurde durch die Bäckerei ein wohlhabender Mann. Ein glücklicher war er ebenfalls; denn er hatte niemals Langeweile. Alle Frauen, Kinder und Schmeckmäuler in der nahen Ruhl und in Eisenach liebten und ehrten ihn als eins der nützlichsten Mitglieder der menschlichen Gesellschaft. Nicht selten fanden zahlreiche Wallfahrten nach dem Seewicher Pfarrhause statt, wo, wenn auch nicht die Fleischtöpfe Aegyptens, doch die Kuchenkörbe des gelobten Landes standen, wo Milch und Honig zwar nicht floß, aber doch in Kuchen gemengt und verbacken wurden. Wenn Pfarrer Kurts mit seinen heiligen Händen den Teig geknetet und aufgerollt hatte, band er sich die weiße Bäckerschürze ab und zog den schwarzen Priesterrock an und spendete mit denselben Händen seiner Gemeinde den Leib des Herrn, den er selbst gebacken, oder goß einem Täufling das geweihte Bad auf die kleine Stirn, oder wendete die Blätter des Buchs aller Bücher und erklärte mit beredtem Munde seiner andächtigen Gemeinde den Text. Er ertheilte gleich freigebig den Segen und Pfeffernüsse, beide sein Werk; und konnte mit Recht sagen: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn ihnen ist das Himmelreich!

Ehrn Kurts war nicht weniger als ein geiziger Mann. Da er Geld verdiente, ließ er Geld aufgehen, und da der Pfarrkirmeßtag die Quelle seines Verdienstes und seines Glückes war, so machte er ihn auch zum Feste seiner Lust. Kein Schulz oder Gemeindeschöpp brauchte den fröhlichen Pfarrer zu controliren; er buk die feinsten Kuchen aller Art in Fülle; er braute mehr als ein Gebräu prächtiges Doppelbier; er ging noch weiter und lud sich ihm anständige Gäste zu seiner großen Mittagstafel, die dann vollwichtiges Zeugniß ablegte auch von seiner culinarischen Kunst.

Da hätte man denn am ersten Kirmeßtage früh die Wallfahrt nach der Seewicher Kirche sehen sollen. Auf allen Wegen und Stegen zogen sie herbei in hellen geputzten Haufen, und bald konnte in der Kirche kein Apfel zur Erde kommen, so standen sie aneinander gedrängt, begierig das Himmelsmanna aus des Pfarrers Mund zu genießen. Des Kuchens und Biers wegen, der Späse, Possen, Alfanzereien, Neckereien und lustigen Schwänke, die hernach im Pfarrhause, auf dessen Hofe und auf der Straße vor der geistlichen Wohnung zu genießen waren, kam freilich kein Mensch. Wenn der fromme Mann die Zuhörer nun mit dem süßen Himmelsbrot gespeist hatte, so zogen sie lustig und guter Dinge ihm nach und bald glich sein sonst so stilles Haus einem Lustlager. Hinein konnten natürlich nicht alle. Aber auch in der Scheuer, auf dem Hofe, im Garten waren Tafeln und Bänke improvisirt und standen Tische mit Kuchen, lagen Fässer voll Bier, und Jeder konnte sich zulangen so oft und so lang ihm beliebte.

Der Seewicher Pfarrkirmeßtag wurde dadurch berühmt. Nicht wenig trugen dazu die Bewohner der nahen Ruhl bei, Handelsleute, Messer- und Schnallenschmiede, ein ungemein lustiges Völkchen und stets zu allen nur erdenklichen Scherzen und Possen aufgelegt.

Wer nicht wegen Speis und Trank in die Seewicher Pfarre zur Kirmeß ging, der ging der Ruhler Narrenspossen wegen hin, die an diesem Tage dort in möglichst großer Anzahl losgelassen wurden, und Jedermann war überzeugt, daß er dort einige Stunden lang angenehm unterhalten werden würde.


Der damalige Herzog von Sachen- Eisenach Wilhelm Heinrich, war ein eigenthümlich lustiger Herr, wie viele fürstliche Herren jener Zeit. Obgleich schon ein Mann in den vierziger Jahren, hatte er doch alle Angewöhnungen und vielbewunderten Eigenschaften eines „charmanten“ Prinzen beibehalten. Er ritt den Bauern durch die Saatfelder, prügelte sie selbst zu seinem allerhöchsten Vergnügen mit der Hetzpeitsche, überritt die Kinder seines Landes auf offner Straße, zwang die jungen hübschen Weiber und Töchter seiner Bürger und Bauern ihm vertrauliche Besuche zu machen oder ihm kleine Stelldichein zu geben, lag oft Wochen lang in Wäldern und Feldern dem edlen Waidwerk ob, hielt dann wieder wochenlange fröhliche Hofgelage, zankte sich zuweilen mit seinem hochfürstlichen Ehegespons bis zum Prügeln, ja man behauptete, seine erste Gemahlin sei in Folge übler Behandlung von Seiten des regierenden Herrn in dem einsamen Jagdhause Wintershausen im Gebirg, wohin er sie verbannt hatte, verzweiflungsvoll gestorben. Regierender Herr! Unbewußte köstliche Ironie in diesem Namen! Vom Nichtregieren so benannt, wie lucus a non lucendo. Herzog Wilhelm Heinrich bekümmerte sich den Teufel um die Regierung seines Ländchens. Er that weiter nichts als dasselbe bis auf’s Blut aussaugen, enorme Schulden machen und das Geld auf alle nur erdenkliche lüderliche und nichtswürdige Weise todt schlagen. In sehr glückliche Mischung vereinigte sich in ihm die Copie eines französischen fürstlichen Wüstlings jener Zeit, d. h. nach jener Seite hin war er ein Affe Ludwig’s XIV., nach dieser ein Bär. Zuweilen betrug er sich jedoch so unsinnig, daß ihn die Leute für nichts weiter als einen halbverrückten Narren hielten. Dies hielt sie jedoch nicht ab, sich jede Unwürdigkeit von ihm gefallen zu lassen und mit der allerunterthänigsten Ehrerbietung entgegen zu nehmen. So liebte er unter vielen andern hochfürstlichen Plaisanterien auch die Musik und übte sie selbst aus, d. h. er trommelte sehr gut und schlug bei Aufführung großer Kirchenmusiken die Pauken vortrefflich. Eine besondere Inklination trug er für den Gebirgs- und Fabrikort Ruhla, dessen eine Hälfte ihm gehörte, während die andre Hälfte, wie noch heute, gothaisch war. Die Ruhler Fabrikarbeiter waren stets gute Musikanten; es gab ihrer wenige, die nicht ein Instrument und in der Regel mit meisterhafter Fertigkeit spielten. Auf Befehl des Herzogs mußten seine Unterthanen oft Kirchenmusiken aufführen, wobei er die Pauken schlug. Dazu lagen aber einige Duzend Schlägel bereit. Seine hochfürstliche Durchlaucht machte sich nämlich das allerdings sehr sonderbare Vergnügen während der Musik und des Gesangs der Gemeinde dann und wann vom hohen Chor aus einen Paukenschlägel auf die hohe und steife Hörnerkappe der einen und der andern hübschen Frau unten im Schiff der Kirche zu schleudern, und es schien fast, als ob der Paukenschlägel aus seiner hohen Hand dieselbe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_089.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)