Seite:Die Gartenlaube (1853) 140.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)


ängstigte sich sein Herz im Anblick aller politischen und socialen und philosophischen Bedrängnisse, Wirren und Uebelstände des alten Herkommens, des Aberglaubens und des eingefleischten Despotismus, wie mächtig griff er in die Saiten gegen alle diese Ungethüme und wie tief schnitten seine Worte in den alten Krebsschäden ein. Ach, welche glühenden Thränen und Schmerzen hat der gütige Himmel diesem Edlen und Herrlichen erspart, indem er ihn 1848 und die spätern Jahre nicht erleben ließ.

Einige hiesige Buchhändler dürfen sich freuen, ihre beträchtlichen Opfer für Gründung des Schiller-Albums nicht fruchtlos gebracht zu haben. Schriftsteller, Dichter, Tonsetzer, Maler und andre Männer des Geistes drängen sich immer mehr und mehr herzu, dem Andenken Schiller’s hier ein Blättchen zu widmen. Auch hierin liegt eine würdige Aufgabe der deutschen Zeitschriften: sie sollen von Zeit zu Zeit an dieses Album erinnern, zur weiteren Betheiligung aufmuntern. Wie viele auch erschienen sein mögen, so sind doch der Berufenen noch mehr, und der dritte Band hat noch der leeren Seiten manche. Dieses Album sollte zur Säkularfeier von 1859 in einer Prachtausgabe veröffentlicht werden, es gäbe ein köstliches Memento, wie wir ein zweites bis jetzt nicht besitzen. Fortsetzen soll man es, immer fortsetzen und von zehn zu zehn Jahren veröffentlichen. Was auch noch Großes und Herrliches dem Reich der deutschen Poesie erblühen möge, Schiller’s Werke werden unvergänglich und sein Name für jeden Deutschen stets ein geweihter bleiben!




Aus der Menschenheimath.

Briefe
des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Achter Brief.
Die wissenschaftlichen Namen der Thiere und Pflanzen.

Du beklagtest Dich neulich über meine garstigen „unverständlichen Namen“ der Thiere und Pflanzen. Ohne Zweifel verstehst Du damit die wissenschaftlichen, aus der lateinischen und griechischen Sprache entlehnten Benennungen, welche ich namentlich neulich, als ich Dir von den Diatomeen schrieb, gebrauchte, ohne daneben deutsche hinzuzufügen. Ich gestehe Dir, mein Freund, daß ich diese Klage vorhergesehen, ja sogar erwartet habe. Dadurch erhalte ich nun von Dir selbst Veranlassung, Dir darüber Einiges zu schreiben, was Dir außerdem vielleicht gar zu trocken und uninteressant erschienen sein würde. Du kannst Dich über diese wissenschaftlichen Namen in meinen deutschen Briefen an einen deutschen Bauersmann, der nicht Lateinisch und Griechisch versteht, kaum mehr ärgern als ich selbst; aber – ich weiß nicht zu helfen.

Ich muß es daher versuchen, Dich mit den „garstigen, unverständlichen Namen“ auszusöhnen, oder Dich wenigstens über die Art der naturwissenschaftlichen Namengebung zu verständigen.

Sieh, mein lieber Freund, wie die Natur allen Menschen gemeinsam angehört, so ist auch die Wissenschaft der Natur so recht eigentlich eine allgemein menschliche Wissenschaft, welche sich nicht um die trennenden Schranken kümmert, durch welche die Menschen – ich will blos bei den Europäern stehen bleiben – in Deutsche, in Engländer, in Russen, in Franzosen, in Schweden, in Dänen, in Italiener, in Spanier und Türken zerfallen. Diese trennenden Schranken bestehen namentlich in der Sprachverschiedenheit. Die Naturwissenschaft ist das schöne Band, durch welches jene sprachgetrennten Menschen geeinigt werden. Keine Wissenschaft ist so sehr wie die Naturwissenschaft ein Werk, an welchem sich alle gebildeten Völker der Erde gemeinsam betheiligen, mögen sie Deutsch oder sonst wie sprechen. Bedenke, daß es wenigstens 200,000 bekannte Thier- und Pflanzenarten giebt. Hätte nun jede derselben blos einen Volksnamen, so hätte allein z. B. der Maikäfer in Europa etwa 16 verschiedene Namen (einen deutschen, einen englischen, türkischen etc. etc.); das gäbe, auf jedes der 200,000 Thiere und Gewächse angewendet 3,200,000 Namen! Wollte nun ein deutscher Naturforscher englische, französische und italienische naturgeschichtliche Werke studiren, so müßte er, außer der Kenntniß dieser Sprachen, auch noch dreimal 200,000 also 600,000 Namen der Thiere und Pflanzen kennen, welche jene 3 Nationen denselben geben. Das würde geradehin eine Unmöglichkeit sein und – das Studium der Naturwissenschaft würde aufhören, ein allen Nationen gemeinschaftliches zu sein und es würde bald nur eine deutsche, eine englische, eine französische Naturwissenschaft und so fort geben.

Hier kommen nun aber die überall verbreiteten beiden alten Sprachen als Helferinnen in der Noth trefflich zu statten. Jedes neuentdeckte Thier und Gewächs erhält sofort von seinem Entdecker einen aus Wörtern dieser beiden Sprachen gebildeten Namen, mag der Entdecker sonst eine Sprache reden wie immer, der sofort von den Naturforschern aller Nationen angenommen wird. Findet ein europäischer Naturforscher, mag er ein Norweger oder ein Spanier sein in einem Buche den Namen Coccinella bipunctata, so weiß er, welches Thier damit gemeint ist. Es ist der wissenschaftliche Name unseres – ja wie nennt Ihr denn in Eurem Dorfe dieses kleine allbekannte hellkreisförmige Käferchen mit den zinnoberrothen Flügeldecken, mit 2 schwarzen Punkten und den 2 weißen Flecken auf dem schwarzen Halsschilde? Ich könnte Dir jetzt wenigstens 10 deutsche Namen für dies Thierchen herzählen, welche es in den verschiedenen Theilen Deutschlands hat. Da siehst Du, wohin die Verwerfung der wissenschaftlichen Namen führen würde. Es würde eine babylonische Sprachverwirrung werden; denn jener bekannte Käfer,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_140.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2020)