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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

No. 19. 1853.
Die Gartenlaube.


Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter für 10 Ngr. vierteljährlich zu beziehen.


Mary.

Sir William Fletscher war ein berühmter Advocat gewesen und mit den Früchten gewonnener und verlorner Prozesse – beinahe 11/2 Millionen Thalern – auf sein großes Landgut im Norden Englands gezogen, um hier seines Goldes und Lebens froh zu werden. Daran hätte ihn auch Niemand gehindert; denn das Bewußtsein seiner Thaten, so schlecht sie sich auch mit Moral und Christenthum vertrugen, störte ihn nicht: er hatte ja Alles im Dienste der Gerechtigkeit „gesetzlich“ erworben – wenn nicht sein einziges Kind, ein wilder Knabe, mit der Zeit groß und ihm eine lebendige Strafe für seine Grundsätze geworden wäre. Vater und Mutter waren „geldstolz“ und hielten es deshalb auch unter ihrer Würde, ihren einzigen Erben – Dudley – in seinen Wünschen und Launen zu hindern, „er hatt’s ja dazu.“ „Arme Leute mögen ihre Kinder so erziehen,“ sagte der alte Fletscher, „daß sie den Mantel nach dem Winde hängen können, mein Dudley kann den Mantel tragen wie’s ihm beliebt.“

So wuchs der Junge wie ein echtes „Goldsöhnchen“ auf. Der Hauslehrer war einer seiner Diener, der ihm zwar nicht die Stiefeln zu wichsen brauchte, dafür aber desto mehr Mühe hatte, ihn nur etwas aus dem Gröbsten herauszupoliren. Der Junge wäre unerträglich gewesen, wenn er mit seiner Verschwendung, seinem Eigensinn nicht eine natürliche Gutmüthigkeit und sogar gelegentlich ein gefühlvolles Herz verbunden hätte.

In seinem neunzehnten Jahre fing er sogar an, oft sehr ernst und sinnig zu werden. Er suchte oft die Einsamkeit, ging oder ritt des Nachts aus, arbeitete am Tage bei verschlossener Thüre und benahm sich überhaupt so seltsam, daß ihn der Hauslehrer für verliebt erklärte und gegen den Vater den Verdacht laut werden ließ, Dudley mache im Geheimen – Verse. Letzteres hielt jedoch „der Alte“ für eine so arge Verläumdung, daß er den Hauslehrer aufforderte, entweder Beweise zu schaffen oder dem Sohne dafür Abbitte zu thun. Was die Verliebtheit betreffe, so wolle er ihm dankbar sein, wenn er Beweise schaffe: hier müsse man bei Zeiten einschreiten, da 10 Meilen rund herum kein Mädchen wohne, das zu seines Sohnes „Gelde“ passe. (In England ist die Phrase: „Sie paßt nicht für mein – Geld“ im Munde von Heirathscandidaten und „Verliebten“ sogar sprüchwörtlich geworden.)

Der Hauslehrer, aufgebracht über den Unglauben, der seinem Scharfsinne begegnete, setzte sich selbst zu einem Untersuchungs-Comité nieder, um zunächst Beweise zu schaffen. So schlich er eines Nachts seinem Schüler nach, bemerkte, wie derselbe sich in die Gebäude eines der Fletscher’schen Pächter verlor, dort eine Melodie pfiff und kurz darauf mit einer weißen Gestalt im benachbarten Parke verschwand.

Der Hauslehrer ging nach Hause und verfiel mehrere Tage lang in tiefes Nachdenken, um Beweise seiner Behauptungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_199.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)