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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

zu schaffen, die seinen Brodherrn recht derb überführen und beschämen sollten.

In einer schwarzen, stürmischen Nacht, während die ganze Familie Fletscher, Vater, Mutter und Sohn – in einem eifrigen Familiengespräche begriffen waren, machte er sich auf nach dem Pachtgute, pfiff, so gut er konnte, dieselbe Melodie, die sein Zögling als Zauberformel gebraucht hatte, und wartete der Dinge, die darauf folgen sollten. Der Erfolg war überraschend. Zwar näherte sich keine weiße Gestalt und flüsterte süße Worte der Liebe, aber zunächst kam ihm ein mächtiger Peitschenhieb auf die Nase, die diesen kostbaren Theil des Gesichts ziemlich zerspaltete, und seine sofortige Flucht wurde von so viel Hieben, die auf den Rücken regneten, beschleunigt, daß er sich selbst wunderte, wie schnell er wieder zu Hause war.

Am nächsten Morgen wunderten sich die Fletscher’s insgesammt nicht wenig über die Nase des Hauslehrers und sein ganzes Aussehen, hielten es aber unter ihrer Würde, von so einer untergeordneten Creatur weitere Notiz zu nehmen. Nur durch einen unerwarteten Besuch wurde diese Nase als Knoten einer dramatischen Entwickelung auf einige Augenblicke wichtig. Der Besitzer derselben ward zu Sir William Fletscher gerufen, der ziemlich aufgeregt auf und abging. Nachdem er Nase und Hauslehrer ziemlich genau angesehen, ließ er seinen Pächter Thomas Wickley eintreten. Letzterer trat ganz so auf, wie aufgebrachte Väter auf dem Theater.

„Sie behaupten also,“ fragte Fletscher, „daß mein Sohn Ihrer Tochter Marie eine ungeziemende Aufmerksamkeit schenke?“

„Das that ich und thu’ ich!“

„Und daß Sie ihn dafür geprügelt haben?“

„Ja – und ich denke, er selber wird die Beweise davon noch an sich tragen. Ich zeichnete ihn erst vorige Nacht.“

Fletscher lachte. Wickley sah ihn mit der größten Entrüstung an.

„Entschuldigen Sie,“ unterbrach sich Fletscher, „mein Lachen erscheint Ihnen nicht am Orte; aber ich werde Sie sogleich von Ihrem Mißverständniß überzeugen – “

„Das können Sie nicht!“

„Hätten Sie ihn wirklich geschlagen, ihn meinen Sohn, würde ich anders vor Ihnen stehen, darauf verlassen Sie sich. Mein Sohn hat gestern Nacht nicht das Haus verlassen. Aber sehen Sie sich mal diesen Gelehrten hier an!“

Wickley musterte den Hauslehrer, schüttelte aber mit dem Kopfe, zog ein Packetchen aus der Tasche und, indem er es Fletscher überreichte, murmelte er mürrisch: „Ich weiß nicht genau, wen ich geprügelt habe; daß aber Jemand etwas Gehöriges von mir bekommen hat, ist ein Factum. Ich weiß auch nicht, wer dies hier geschrieben hat; aber Sie wissens vielleicht.“

Der alte Advocat entfaltete das Packetchen, zog ein zierliches Briefchen mit gepreßten Kanten hervor, überflog es und rief: „Das ist meines Dudley Hand, und es hat wahrhaftig die schauderhafteste Aehnlichkeit mit Poeterei.“

Der Hauslehrer wollte etwas sagen, der alte Advokat riß aber so heftig am Klingelzuge und befahl so heftig, Dudley solle sogleich zu ihm kommen, daß ihm die bescheidene Hinweisung auf seinen psychologischen Scharfsinn, die er auf der Zunge hatte, in den Sprachwerkzeugen stecken blieb.

Dudley trat ein und der alte Fletscher las mit Hohn und Wuth:

Zuviel verlangt! Ich trag’ es nicht,
Mary, von Dir, von meinem Leben,
Von meiner Seele Sonnenlicht
Zu scheiden und mich zu ergeben.
Ergeben, wem? Der Willensmacht,
Dem rohen Heischen unsrer Väter?
Sie lieben nicht, ihr Kopf ist Nacht:
Und unsre Herzen glühn im Aether.

Was Thau der Blume auf dem Feld,
Dem Wasser aber nächtliche Sterne,
Was Gott der ganzen, großen Welt,
Das bist Du mir in Näh’ und Ferne;
Doch wie der Thau die Blume tränkt,
Die Sterne sich im Flusse baden,
Und Gott sich liebend niedersenkt
Zu wandeln auf der Erde Pfaden;

So komm auch Du, Du liebes Licht
Zu mir hernieder ohne Zagen!
Der Trennung Schmerz ertrag’ ich nicht.
Mich zwingt kein Gott, Dir zu entsagen.“

„Hast Du das Zeugs geschrieben?“ fragte der Vater, nachdem er diese Zeilen mit recht grausamer Bedächtigkeit und mit den schrecklichsten Betonungen laut gelesen.

„Das habe ich,“ antwortete Dudley zugleich vor Scham und Zorn erröthend.

„Was hast Du damit sagen wollen? Daß Du dieses Mannes Tochter liebst und heirathen willst?“

„Kein Gentlemen wird einen andern Sinn darin finden.“

„Heirathen?“ rief Fletscher der Alte, sich hoch aufrichtend, als wollte er persönlich die Höhe seines Vermögens damit andeuten. „Unerzogner Bube!“

Der junge Fletscher fuhr bei diesen Worten auf seinen Vater zu, als wollt’ er Hand an ihn legen, besann sich aber sogleich, und trat einen Schritt zurück, indem er sagte: „Ich will die Antwort auf einen solchen Titel schuldig bleiben“ und verließ das Zimmer.

„Poeterei und Liebe zu einer Pachterstochter,“ rief der Vater, „das muß ich an meinem einzigen Sohne erleben!“ –

Mary’s Vater ward mit nichtigen Redensarten von Satisfaction wegen der seiner Tochter angethanen „Schmach“ (da Heirathen in diesem Falle nach den Gesetzen der „guten Gesellschaft“ für eine reine Unmöglichkeit galt) entlassen, Dudley eingeschlossen und das Weitere zwischen Vater, Mutter und Hauslehrer feierlich berathen.

Das Ergebniß dieser geheimen Sitzung ward schon den folgenden Morgen bekannt und ausgeführt. Der Hauslehrer wurde mit einer Gratification, womit er sein Nasenbein wieder in Ordnung bringen lassen sollte, entlassen und der Sohn in ein ehrenvolles Exil geschickt.

„Er ist alt genug, um etwas zu lernen,“ hatte der alte Advocat die Sitzung geschlossen, „er kann gleich anfangen, bei Dr. Calomel Medicin zu studiren, und bei der Tante Mrs. Hays wohnen. London ist weit genug und die Medicin ein gutes Mittel, ihn von solchen Absurdidäten, wie Liebe und Poeterei, zu curiren.“ – –

Dudley eröffnete also seine Studien unter der Leitung des berühmten Dr. Calomel in London und zugleich seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_200.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)