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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

was man von solchen Preisen zu Paris denken würde. Aber er warf einen Blick auf den Redacteur, auf den Prügel und die Pistolen neben ihm, zog den Beutel und zahlte die verlangte Summe.

Der Tag des Concerts kam, und schon frühzeitig war das Theater von einer unermeßlichen Menge belagert. Wilde, schlimm aussehende, seltsam gekleidete Bursche erschienen mit jedem Augenblick, Karten fordernd, und waren sehr beleidigt, wenn man ihnen Plätze zweiten Ranges zu vier Dollars statt ersten zu acht anbot. Der Kassirer hatte eine Wage vor sich. Das Publikum defilirte an ihm vorüber, und Jeder gab ihm einen Beutel von schwarzem Leder in die Hand. Er öffnete denselben, nahm eine Prise Goldstaub heraus, wog sie und verabfolgte dann die Karte.

Das Concert begann und schloß zur rechten Zeit. Der Triumph des Künstlers war vollständig, wie der Lärm und der Aufruhr bewies, der keinem Londoner Publikum Schande gemacht hätte. In den Logen erkannte Herz eine Dame, welche früher in der Rue Vivienne einen Tabacksladen gehabt, und zwei französische Putzmacherinnen, die ihr Geschäft aufgegeben hatten. Hier lebten sie auf dem größten Fuße, daß man sie für Herzoginnen hätte halten können.

Beim Schlusse des Concerts brachte der Kassirer dem Künstler einen großen, mit gelbem Staube angefüllten Teller.

„Was ist dies?“ fragte er.

„Dies ist die Einnahme des Abends; es sind über zehntausend Franken.“

Henrich Herz gab vierzehn Concerte in derselben Weise; Zudrang, Erfolg, Ertrag war derselbe. Er fühlte sich allmählig mit St. Francisco ausgesöhnt.

Eines Morgens, während er sich rasirte, besuchte ihn ein Herr, der sehr höflich war und ganz besonders durch die Eleganz seiner Kleidung und seines Benehmens auffiel.

„Monsieur,“ sagte der Unbekannte, „ich bin ersucht, Sie zu fragen, ob es Ihnen paßt, in einem Privathause zu spielen?“

„Wie, ich weiß nicht – “

„Sie brauchen jeden Abend nur eine halbe Stunde zu spielen unter Bedingungen, die Sie selbst bestimmen. Ich bin bevollmächtigt, fünf bis sechstausend Piaster monatlich zuzugestehen.“

„Ihre Auftraggeber sind vermuthlich reiche Leute, welche die Musik leidenschaftlich lieben. Aber warum besuchen sie nicht lieber meine Concerte?“

„Sie gehen nicht aus, sondern bleiben zu Hause und amüsiren sich mit einer andern Art von Spiel. Aber Sie wissen, selbst Karten und Würfel wird man zuletzt überdrüssig, und nichts ist angenehmer, als während der Pausen des Spiels eine hübsche Musik zu hören.“

„Ich verstehe Sie vollkommen,“ sagte der unwillige Musiker. „Sie wünschen, ich soll in einem Spielhause spielen, um die Spieler zu unterhalten. Verlassen Sie sogleich das Zimmer, wenn Sie nicht mit all der Ehre die Sie verdienen, hinausgeleitet sein wollen.“

„Sie sind zu empfindlich,“ murrte der Unbekannte beim Weggehen. „Wir haben Künstler vom höchsten Ruf in Californien, die nicht verschmähen, in den Kaffeehäusern, den Spielhäusern und überall, wo sie bezahlt werden, sich hören zu lassen.“

Nicht willens, sich in dieser und mancher anderen Hinsicht den Gebräuchen St. Francisco’s zu fügen, begab sich Henrich Herz jetzt nach dem Sacramento. Dort fand er eine prächtige Aufnahme und wurde von allen Seiten gedrängt, Concerte zu geben. Er fragte zuerst, ob sie einen Concertsaal hätten. Gegenwärtig war keiner da, aber in acht Tagen sollte einer fertig sein. Der Künstler gab den Plan und die nöthigen Anweisungen und beschloß inzwischen die Gruben zu besuchen. Er versah sich mit den Geräthen und Kleidern, die ein Goldjäger bedarf, und miethete zwei Pferde und einen Führer. Halbtodt vor Hunger und Ermüdung kam er bei den Minen an und bezahlte eine unglaubliche Summe für ein Stück schlechten Zwieback und ein Glas abscheuliches Bier. Er erhielt Erlaubniß zu graben, arbeitete wie ein Neger und bezahlte das Bischen Gold, das er fand, der Uebereinkunft gemäß, an den Besitzer der Gruben. Er kam mit der Ueberzeugung nach dem Sacramento zurück, daß für ihn die wahren Goldminen in den Tasten des Piano lägen, und fand einen hübschen, eigens für ihn erbauten Concertsaal vor, wo er eine Reihe sehr glänzender und sehr einträglicher Concerte gab.

Sein Aufenthalt in Californien war eine lange Reihe von Triumphen. Ehe er es verließ, wollte er von St. Francisco Abschied nehmen. Es war der Abend des ersten Mai und das Wetter so schön, wie man es nur denken konnte. Das Abschiedsconcert war auf den nächsten Tag angekündigt, und die Piano’s waren schon nach dem Theater hingeschafft. Nachdem der Künstler dem wilden Journalisten seinen Besuch gemacht und die letzte Anzeige bezahlt hatte, ging er mit seinem jungen, schöngelockten Freunde aus.

Ganz plötzlich hören sie ein entsetzliches Geschrei, die Sturmglocke läutet, Rauchsäulen erheben sich über verschiedenen Theilen der Stadt; das Feuer greift furchtbar um sich. Das Theater ist in wenig Minuten in Asche verwandelt und mit ihm die schönen Piano’s. – Während die Flammen drei Viertel der Stadt verschlangen, schlossen die Maurer und Baumeister mit den Geschäftsleuten, statt daß sie die Zerstörung zu hemmen suchten, Contracte zur Wiedererbauung der Stadt und fertigten sie beim Scheine des Feuers auf Stempelpapier aus. Nichts kam der Kaltblütigkeit der Amerikaner bei diesem Unglück gleich; in manchen Spielhäusern wurde, wenn bereits der erste Stock in vollen Flammen stand, im dritten noch ruhig fortgespielt.

„Es ist eine Weisung des Schicksals,“ sagte Henrich Herz. „Was soll ich länger hier thun? Der Concertsaal verbrannt, meine Piano’s verbrannt: jetzt ist’s Zeit zum Abschiede!“

„Durchaus nicht,“ sagte der junge Deutsche. „In einigen Tagen haben wir eine neue geräumigere, regelmäßigere, schönere und festere Stadt wieder.“

Aber der entmuthigte Pianist ließ sich nur herbei, seinem Abschiede ein „Auf Wiedersehen!“ hinzuzufügen.

„Vergessen Sie mein Haus nicht,“ sagte sein junger Freund, „wenn Sie wiederkommen.“

„Fürchten Sie nicht! Aber untersuchen und befestigen Sie inzwischen die linke Mauer. Ihr Haus ist nicht ganz sicher.“

„Freilich wahr. Aber es ist das einzige Haus, das die Flammen verschont haben. Es ist feuerfest.“


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_272.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)