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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853)

Schmerz. Ich wollte mit einem dicken hirschledernen Handschuh ein Glied abbrechen und hatte die ganze Hand voll Stacheln, die ich nur nach langer Mühe wieder loswerden konnte. Nach einer Stunde größtentheils vergeblichen Suchens nach Insecten und Mollusken sah ich mich plötzlich beim Umbiegen um eine kleine Anhöhe in einem Palmengarten. Ich zählte gegen 50 Dattelpalmen, zum Theil wohl von 40 Fuß Höhe. Ich wunderte mich, das stolze Gewächs in allen Stufen der Entwickelung zu finden. An einigen öffnete sich eben erst die Scheide, um den Blüthenbüschel heraustreten zu lassen; andere standen eben in der Blüthe und einige hatten bereits ziemlich reife Früchte. Mehr noch als die Agave und die Opuntia gemahnte mich dieser kleine Palmenhain wie unzweideutiger Süden. Der Wind strich durch die eleganten Kronen und brachte einen eigenthümlichen, nicht säuselnden oder rauschenden Ton hervor. Er war bedingt durch die starren steifen Fiedern der majestätischen Blätter.

Wie die Pflanzenwelt überhaupt nur in neuen, mir nicht vertrauten, Formen mir entgegentrat, so habe ich heute nach einer langen Wanderung durch das echt orientalische Labyrinth der engen und unregelmäßigen Gassen der Stadt auch die Menschen von einem durchaus südlichen Typus gefunden. Daß die höheren Stände die allgemeine französisch-europäische Kleidermode besitzen, versteht sich von selbst. Dagegen herrscht bei den mittlern und untern Classen durchaus die nationale Tracht, von der ich, wie ich schon vorher bemerkte, in einem späteren Briefe eine vergleichende Schilderung versuchen will. Aufgefallen ist mir die durchgehends fast häßlich zu nennende Gesichtsbildung der Frauen Alicante’s. Außerordentlich häufig sah ich einen zigeunerfahlen Gesichtsschnitt, nichts was an die berühmte Schönheit der Castilianerinnen und Andalusierinnen erinnerte. An schönen Kleidern und an unbeschreiblich häßlichen alten Weibern ist Alicante reich.




Lebens- und Verkehrsbilder aus London.

In Briefen von einem in London lebenden Deutschen.
IV.
Londoner Nacht-Märkte.

Was man von London weiß, berichtet und lies’t, ist fast Alles einseitig, nämlich von der Cityseite der Themse. Was jenseits zwischen den acht Meilen von Battersea bis Greenwich arbeitet, handelt, furchtbar und froh ist, das fabricirende, das volksvergnügte London, wird selten gesehen und beschrieben. Wir wollen uns einmal hinüberwagen über eine der kolossalen Brücken, die in ihren Straßenverlängerungen von dem Halbkreise der Themse fast alle concentrisch zusammenlaufen. Da wo der Obelisk steht, begegnen sich nicht weniger als 6 unendlich lange, kolossale Hauptstraßen von den 6 größten Brücken her in einem Punkte, um von da aus wieder das Weite und neue Städte Londons und vielleicht endlich grüne lachende Felder und Wälder und kleine niedliche Colonien von Villen zu suchen. Unzählige Labyrinthe von Quer- und Nebenstraßen irren dazwischen hin und her, rauchiger noch und dunkler zum Theil, als die Straßen der City, aber nicht so trostlos, o nein, wenn man’s trifft, heiterer, strahlender, fideler, als irgend ein Fleck der Erde; aber nicht so oberflächlich lustig, wie ein nüchterner Jahrmarkt in einer deutschen Provinzialstadt, nein humoristisch, tragisch, fidel, unerschöpflich in Handlung und Katastrophe, ein bewegliches Diorama, mit mehr Lust- und Trauerspielen in einer Nacht, als alle Theater der Welt zusammen aufführen können.

Am Tage ist es still in den meisten dieser Seitenstraßen, so still, daß man die Kinder schreien hört und die ältern wirklich Platz haben, zu spielen. Die Häuser sehen zwar auch schwarzbraun oder wie Schinken aus, die zu lange im Rauch gehangen haben, aber nicht so verschlossen und festungsartig, wie in der City und jenseits der Themse. Hier und da steht sogar ein Mädchen oder eine Frau, niedlich und einfach angezogen und mit einem Körbchen oder einem Kinde am Arme in der Thür und hat Zeit, mit der Nachbarin zu plaudern oder auf den Spaß der Vorübergehenden etwas Neckisches zu erwiedern.

Doch so etwas kann man überall genießen und hat blos Werth als Vor-Bild für die Scenen, welche diese Stadttheile Abends und Nachts bieten, wo die Penny-Theater dutzendweise strahlen und die Arbeiter und Arbeiterinnen unter Zehntausenden von wunderschönen Sachen, die sie alle Stück für Stück für’n Penny eindringlich empfehlen, zu wählen haben. Der Abend ist nicht blos der liebe Morgen, die Nacht ist auch der hellste und geschäftigste Tag Londons, am Glänzensten aber die Nacht des Sonnabends, und diese am Malerischsten jenseits der Themse.

London hat jeden Sonnabend Abend bis zum Morgen des Sonntags 16 Hauptmärkte, jeden mit mehr Umsatz, als eine ganze Frankfurter Messe. Keiner aber sieht so großartig und reich aus, als der in New-Cut, zwischen den Straßenverlängerungen der Blackfriars- und Waterloo-Brücke. New-Cut ist die Hypothenusenstraße zu den beiden Katheten, die im Obelisk zusammenlaufen. New-Cut selbst, in ihrer Länge von 1/2 Meile, verbindet nicht weniger als 16 Straßen, die alle von großen Fabriken, Brauereien und dicht bevölkerten Straßen herkommen. Diese ganze Länge und ansehnliche Breite ist Sonnabends Nachts ein dichtes, unaufhörliches, schreiendes, lichterstrahlendes Gemisch von Kauf und Verkauf, so dicht, als sollte aus der ganzen Masse ein Filz gewalkt werden. Alles ohne Marktordnung, ohne sichtbare Polizei, ohne Uniformen, ohne eine Spur von Gesetz, scheinbar die höchste Klimax von Anarchie, und dabei ein Schauspiel für Götter. Auch hier regieren sich die Engländer selbst. Wenn Gesetze gebraucht werden, entstehen sie wie von selbst für jeden einzelnen Fall mit den allerkürzesten parlamentarischen Debatten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1853). Leipzig: Ernst Keil, 1853, Seite 280. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1853)_280.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2020)